STRATEGIE

Als die Sprache zum Kampfplatz wurde

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Möglichkeiten der Genderisierung in Texten

Als Anfang des Jahres vorgeschlagen wurde, den Text der deutschen Nationalhymne genderneutral zu formulieren, zog dies heftige Diskussionen nach sich. Auch die Klage einer Sparkassenkundin, die in Formularen gern als »Kundin« angesprochen werden möchte, sorgt für erhitzte Gemüter. Nichts Neues, schließlich scheint die deutsche Bevölkerung bei Themen der geschlechtergerechten Sprache allgemein ziemlich gespalten. Worum genau geht es eigentlich? In diesem Artikel will ich das Konzept der genderisierten Sprache neutral erklären und aufzeigen, wo mögliche Probleme liegen.

Warum Sänger nicht automatisch Sängerinnen und Sänger sind

Laut Wikipedia gibt es zwei Möglichkeiten der geschlechtergerechten Sprache: Entweder die Sichtbarmachung des Geschlechts (Studentinnen und Studenten) oder die Verwendung einer geschlechtsneutralen Form (Studierende). Was das Ganze erschwert: Es gibt von sehr vielen Begriffen keine geschlechtsneutrale Form, d.h. es bleibt nur – wie bisher – die Möglichkeit des generischen Maskulinums (Studenten) oder eben eine gegenderte Variante.

Das Haupt-Argument vieler Verfechter der gendergerechten Schreibweise besteht darin, dass sich viele Frauen nicht angesprochen fühlen, wenn beispielsweise von Vegetariern die Rede ist. Mittlerweile wurde das sogar wissenschaftlich belegt. Das bestätigt die Vermutung, dass bestimmte Worte mit bestimmten Bildern und Vorstellungen verknüpft sind – und konkret gesagt werden muss, ob bei den o.g. Vegetariern auch Vegetarierinnen mit gemeint sind. Interessanter Fakt an dieser Stelle: Die Lesbarkeit der Texte verschlechtert sich nicht, egal ob statt des generischen Maskulinums ein Binnen-I (VegetarierInnen) oder beide Nennungen (Vegetarier und Vegetarierinnen) verwendet werden.

Die Sichtbarmachung des Geschlechts kann auch durch einen Schrägstrich oder eine Klammer ausgedrückt werden, also Lehrer/innen oder Lehrer(innen). Allerdings werden diese beiden Varianten kritisch gesehen, weil Inhalte hinter einem Schrägstrich oder in einer Einklammerung oft weniger wichtige Hinweise enthalten und demzufolge oft überlesen werden. Man könnte das im übertragenen Sinne also als Herabwürdigung der Gruppe in der Klammer verstehen.

Eine ganz andere Alternative besteht darin, zum generischen Femininum zu greifen, also z.B. die Ärztinnen zu schreiben. Die Universität Leipzig hat das vor ein paar Jahren eingeführt und vom generischen Maskulinum aufs generische Femininum gewechselt. Die Fußnote, dass das jeweils andere Geschlecht mitgemeint ist, blieb bestehen und wurde daraufhin angepasst, dass auch männliche Amtsinhaber gemeint seien. Dadurch werden Frauen radikal in den Vordergrund gestellt, was zwar als Geste durchaus Achtung verdient, aber nicht unbedingt eine langfristige Lösung darstellt.

Gender-Sprache

Nicht nur Frauen, sondern alle Menschen ansprechen

Immer noch dabei? Sehr gut, jetzt geht’s noch eine Ebene tiefer. Es gibt noch eine weitere Art der genderneutralen Ausdrucksweise, und zwar, wenn man Unterstriche oder Sterne verwendet, zum Beispiel Sportler_innen oder Sportler*innen. Dieses Konzept ist auch als Gendergap bekannt. Damit werden nicht nur Männer und Frauen, sondern auch beispielsweise Transgender oder intersexuelle Menschen angesprochen. Denn durch die Lücke wird ein Hinweis gegeben auf all die Menschen, die ihre Geschlechtsidentität nicht dem binären System zuordnen.  

Jetzt mag man anmerken, dass derartige Kunstwerke nur schriftlich und nicht mündlich wiederzugeben seien. Aber auch hierfür gibt es Konzepte: Bei Schrägstrich, Klammer und Binnen-I werden in der Regel beide Formen gesprochen, also Vegetarier und Vegetarierinnen, gelegentlich auch nur die weibliche Form. Beim Gendergap hat sich eine kurze Pause innerhalb des Wortes etabliert, ein sog. glottaler Verschlusslaut (weitere Infos und Hörbeispiel auf sprachlog.de).

Nationalhymnen auf dem Prüfstand

Soweit die Theorie – wie sieht’s jetzt in der Praxis aus? Wenn wir das Beispiel der Nationalhymne wieder aufgreifen, lohnt sich ein Blick auf Kanada. Kanada hat aufgrund seiner Zweisprachigkeit zwei Hymnen, eine englisch- und eine französischsprachige. Die französische Version ist bereits geschlechtsneutral, die englische wurde Anfang des Jahres geändert. Dem waren zwölf (!) Gesetzesentwürfe und einige Jahre intensiver Abstimmungen vorausgegangen. Führende Politiker in Kanada, auch der Premierminister Trudeau, haben die Anpassung begrüßt.

In Deutschland wurde im Vorfeld zum Weltfrauentag im März der Vorschlag diskutiert, bei der deutschen Nationalhymne den Text zu ändern. »Vaterland« könnte durch »Heimatland« ersetzt werden und »brüderlich mit Herz und Hand« durch »couragiert mit Herz und Hand«. Ein starkes Argument der Befürworter einer Änderung ist die Tatsache, dass es nichts Neues und Ungewöhnliches ist, eine Nationalhymne von Zeit zu Zeit an neue Entwicklungen zu adaptieren. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Grenzen nicht mehr stimmen oder die Ideologie dahinter nicht mehr passt. Außerdem waren in der Originalversion des Liedes der Deutschen Frauen tatsächlich nicht mit gemeint: In der zweiten Strophe, die man heutzutage nicht mehr singt, werden deutsche Frauen im gleichen Atemzug wie deutscher Wein als schützenswerte Kulturgüter gepriesen – damit sind sie Schmuckstücke, aber keine gleichberechtigten Bewohnerinnen. Insofern ist die Frage durchaus berechtigt, warum es nun so selbstverständlich sein sollte, dass Frauen und andersgeschlechtliche Menschen mit »brüderlich« ebenfalls gemeint sind. Welchen Einfluss die Wahrnehmung von Sprache auf Politik und auch unser restliches Leben hat, wird übrigens in diesem unglaublich sehenswerten re-publica-Vortrag deutlich.

Viel Feind, viel Ehr‘?

Leider fehlt die Sachlichkeit in Debatten dieser Art – Männer fühlen sich herabgesetzt, Frauen und Transgender ausgeschlossen, viele verstehen nicht, warum man sich über ein vermeintlich unwichtiges Thema solche Gedanken macht. Das führt insbesondere im Netz zu heftigen Ausbrüchen und steht einer zielführenden Diskussion, wie wir zukünftig mit unserer Sprache umgehen wollen, im Weg. Das ist schade, weil dadurch viele davon abgehalten werden, sich mit dem Thema zu befassen. Selbst ich habe ich mich lange auf den Standpunkt zurückgezogen, dass mit dem generischen Maskulinum alle gemeint sind, weil mir das in der Schule so beigebracht wurde. Erst im Zuge der Recherchen für diesen Artikel wurde mir wirklich klar, was hinter dieser vermeintlichen Korinthenkackerei steckt – und wie gerne wir vergessen, dass Sprache wandelbar ist. Wenn wir also durch ein paar kleine Gesten die Möglichkeit haben, wirklich alle Menschen in unsere Botschaften einzubeziehen, warum nutzen wir sie dann nicht schon viel mehr?

autor.

Autorenbild Hanna Hartberger

Beim Jahr 2017 merkte man schnell, dass es politisch denkwürdig werden würde. Hanna wusste, dass sie sich nicht nur wegen berühmter Persönlichkeiten daran erinnern würde. Sie entschied sich nämlich im selben Jahr für einen neuen Karriereschritt und wechselte zu arsmedium ins Content Management.

Wieder zurück in der fränkischen Heimat lebt sie sich hier nun bei verschiedensten Online-Projekten aus. In einem früheren Leben hat sie zwar Buchwissenschaft und Germanistik studiert, aber die Verlockungen des World Wide Web faszinierten sie schon im Studium, bis sie ihnen im Laufe ihres Arbeitslebens völlig erlag. Die zertifizierte Online-Marketing-Managerin ist sowieso der Ansicht, dass zwischen Internet und Verlagswesen keine allzu großen Unterschiede bestehen – guter Content hat in beiden Bereichen die besten Chancen, sich durchzusetzen. Getreu diesem Motto kennt sich Hanna mit Content-Erstellung jeglicher Art aus und stellt den neuen Content am liebsten auch gleich online. Selbst wenn die x-te Änderungsrunde einer Seite diskutiert wird, kann sie das nicht aus der Ruhe bringen, denn:

»Nichts ist beständiger als der Wandel.«
Heraklit, vielleicht auch Charles Darwin

Auch das private Interessenspektrum unserer Allrounderin ist schier unendlich: Es reicht von Fotografie bis Menschenrechte, von Feminismus bis Low-Carb-Backen, von Serien-Binge-Watching bis Bloggen. Und natürlich möchte sie irgendwann die Weltherrschaft erringen.

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