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Über Artikel 13, Upload-Filter und die neue EU-Urheber­rechtsreform

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Nun ist es also passiert: Die EU hat das freie Internet zerstört! Allen Protesten zum Trotz hat das EU-Parlament vergangene Woche die Reform des Urheberrechts inklusive des umstrittenen Artikels 17 (vormals Artikel 13) beschlossen. Dadurch sind Online-Plattformen wie YouTube künftig für die Inhalte ihrer Nutzer*innen haftbar. Wird sich das Internet, wie wir es kennen, jetzt wirklich fundamental ändern? Dieser Frage möchte ich nachgehen.

Hunderttausende waren dagegen auf die Straßen gegangen, hatten on- und offline dagegen protestiert, führende Wissenschaftler*innen hatten in einem offenen Brief davon abgeraten und die deutsche Wikipedia (die von den neuen Regelungen ausgenommen bleibt) hatte sich als Zeichen des Widerstands einen Tag lang selbst zensiert. Das EU-Parlament stimmte der umstrittenen Urheberrechtsreform dennoch zu und der CDU-Politiker Axel Voss, der die Reform federführend ausgehandelt hatte, wurde zum Gespött.

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Doch was genau regelt die Reform eigentlich?

Grundsätzlich vor allem die folgenden Punkte:

  • Online-Plattformen müssen sicherstellen, dass sich urheberrechtlich geschützte Inhalte nicht mehr bei ihnen veröffentlichen lassen.
  • Sollen geschützte Inhalte doch auf einer Plattform veröffentlicht werden, muss die Plattform dafür Gebühren an die Rechteinhaber*innen zahlen.
  • Bei Verstößen haftet die Plattform künftig selbst.
  • Die Regelung gilt nur für kommerzielle Plattformen, nicht-kommerzielle Websites wie Wikipedia sind davon ausgenommen.
  • Auch nicht betroffen sind neue Plattformen in den ersten drei Jahren ihres Bestehens, solange ihr jährlicher Umsatz unterhalb von zehn Millionen Euro liegt.

Auf den ersten Blick scheint sich gar nicht so viel geändert zu haben … meinen DVD-Rip von Das letzte Einhorn durfte ich vorher schließlich auch nicht auf YouTube hochladen. Doch während es bisher so war, dass geschützte Inhalte zunächst publiziert werden konnten und erst entfernt wurden, nachdem die Rechteinhaber*innen sie bei der Plattform gemeldet hatten, sollen sie künftig gar nicht mehr erst veröffentlicht werden können. Und dies wird dann höchstwahrscheinlich nicht mehr nach manueller Prüfung, sondern automatisiert mithilfe von Upload-Filtern geschehen, die sämtlichen Content vor dem Livegang prüfen und bei Verstößen gegen das Urheberrecht die Publikation direkt verweigern.

Was wird sich denn dann ändern?

Aus Angst vor Abmahnungen werden sich Online-Plattformen künftig also selbst zensieren und dabei wahrscheinlich sehr strikte Filter einsetzen, die auch Kollateralschäden nach sich ziehen werden. Also auch Inhalte blockieren, die eigentlich nicht unter den Schutz des Urheberrechts fallen – etwa bei Zitaten oder wenn ein geschützter Inhalt satirisch aufbereitet und nachgestellt werden soll. Dazu kann es auch zu Missverständnissen und Fehlern im Algorithmus kommen, denen oftmals nicht einmal widersprochen werden kann. Und dass solche Upload-Filter gelegentlich sogar bizarre Formen der Zensur hervorbringen, kennen wir schon aus der Vergangenheit. Ebenfalls problematisch ist die mangelhafte rechtliche Kontrolle dieser Filter: Künftig legt YouTube fest, welche Inhalte schützenswert sind und welche nicht. So erhält die Plattform quasi eine rechtsprechende Gewalt, die sich der direkten juristischen Kontrolle entzieht.

Ist das das Ende der Memes?!

Aber was wird sich denn jetzt konkret für uns alle ändern? YouTube und Google hatten im Vorfeld bereits angedeutet, wie sich die Richtlinie auswirken könnte. Komfortable Features wie der Google Newsfeed, der in Spanien bereits Geschichte ist, oder alltägliche Anwendungsfälle wie Memes könnten in Zukunft dem Urheberrecht zum Opfer fallen. Und auch bei der Veröffentlichung von eigenem Content werden wir künftig vielleicht anders agieren und eventuelle Urheberrechte stärker berücksichtigen müssen.

Kann ich in meinen YouTube-Videos künftig noch urheberrechtlich geschützte Film-Ausschnitte verwenden, beispielsweise für eine Rezension? Im Zweifelsfall wird mich diese Frage dazu bewegen, die fraglichen Szenen lieber direkt aus dem Video zu streichen, mich also lieber gleich selbst zu zensieren, als Zeit und Arbeit in etwas zu investieren, das womöglich sowieso nicht publiziert werden kann. Unter diesem Aspekt sind die Bedenken zahlreicher YouTuber*innen verständlich, die Einschränkungen ihrer Kreativität befürchten und ihre Arbeitsabläufe künftig vielleicht anpassen müssen. Ähnliches gilt dabei nicht nur für selbstständige digitale Kreativköpfe, sondern auch für Unternehmen, die ihre Kampagnen künftig vermutlich noch intensiver juristisch auf eventuelle Urheberrechtsfälle prüfen lassen müssen.

Noch komplizierter wird es aber in einem anderen wichtigen IT-Bereich: Der Software-Entwicklung. Denn auch Plattformen wie GitHub, wo eine kollaborative Entwicklung von Software stattfindet, müssen Urheberrechtsverletzungen unterbinden und alle Inhalte ihrer Nutzer*innen filtern. Im Bereich Software ist eine automatisierte Filterung aber kaum sinnvoll umzusetzen. Da aber Open-Source-Projekte wie GitHub einen wichtigen Innovationstreiber für die Software-Entwicklung darstellen, hegen Experten die Befürchtung, dass Europa durch die neue Richtlinie einen Wettbewerbsnachteil erleiden wird.

Das Internet »findet einen Weg« (Copyright: Jurassic Park, 1993)

Die neue Richtlinie trifft also weniger die reinen Internet-Konsument*innen, sondern eher die Produzent*innen von Content, die künftig noch mehr darauf achten müssten, welche Inhalte sie publizieren. Und dennoch ist die Richtlinie für uns alle ein Schritt in die falsche Richtung. Denn statt das grundlegende Problem anzugehen und zu reformieren – das Urheberrecht selbst, das aus einer Zeit vor dem Internet stammt – wird jetzt versucht, das Netz in ein Korsett aus antiquierten Urheberrechtsvorstellungen zu pressen. Was mich trotzdem hoffnungsvoll stimmt, ist die Beschaffenheit des Internets an sich. Dieses dezentrale, ständig im Fluss befindliche Gebilde hat sich bisher noch von niemandem bändigen lassen. Und ob ein Axel Voss das schaffen wird, wage ich auch zu bezweifeln.

 

autor.

Autorenbild Michael Gsell

Seit Ende Mitte der 1980er Jahre weilt der mit Willy Brandt, Josef Stalin und Christina Aguilera Geburtstag feiernde gebürtige Fürther nun auf der Erde. Von seiner Grundschullehrerin als „zerstreuter Professor“ tituliert, bemühte sich der damals noch Blassedünnejunge nach dem erfolgreichen Abitur und 9 Monaten im Dienst der Zivilgesellschaft um eine akademische Gesellen- und Meisterausbildung auf dem Gebiet der Medienwissenschaft an der Uni Regensburg.

Mit dem Meisterbrief im Gepäck machte sich der von Kreuzbandrissen ausgebremste Profi-Fußball-Couch-Kommentator zurück in fränkische Gefilde und verdingte sich als freier Knipser und Schreiberling im Auftrag der Fürther Nachrichten, bis ihn Mitte 2014 schließlich der Ruf arsmediums ereilte und er dort seitdem fleißig diverse Contents managt und seine nahezu zwanghafte Klugscheiß-Ader zum Leidwesen seiner Kolleginnen in Form von »Qualitätssicherung« auslebt.

Privat trifft man den Pogo-affinen Punkrockfreund, Dudenrapper und Filmliebhaber im Chor der Fürther Musikschule, beim Studium des Karatedō und Kyusho Jitsu im Dojo und in der Zirndorfer ZAE, in der er Geflüchtete im Rahmen eines E-Learning-Kurses beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt.

»When the seagulls follow the trawler, it is because they think sardines will be thrown into the sea.«
Eric Cantona

Der Sprache misst er auch bei seiner Arbeit eine besondere Bedeutung zu, da diese unser Denken konstituiert und darüber auch maßgeblich unsere Emotionalität und unser Handeln steuert. Sie eröffnet uns neue Perspektiven und lässt uns eintauchen in andere emotionale Welten, die wie im obigen Zitat beispielsweise anthropozentrische Denkmuster zu unterminieren vermögen. In diesem Sinne plädiert er für eine möglichst reflektierte Verwendung von Sprachinhalten, die vor allem progressive Zwecke verfolgen möge, schließlich habe die Innovation das Leitmotiv jeglichen gestalterischen Schaffens zu sein – idealerweise verbunden mit einem Augenzwinkern.

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