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Emotional Storytelling – Wie man eine Geschichte erzählt, die bewegt

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Geschichten gelten als der heilige Gral in der Kommunikation – vollkommen zu Recht! Eine Geschichte kann die wunderbarsten Emotionen auslösen: Freude und Trauer, Mitleid und Schadenfreude, Erleichterung und Enttäuschung, Stolz und Scham, Liebe und Hass. Es liegt auf der Hand, warum das Geschichtenerzählen für eine Marketing-Agentur, die den Anspruch hat, emotional brand marketing zu betreiben, von enormer Wichtigkeit ist.

Dieser Blogbeitrag soll sich mit der Königsklasse der Erzählkunst beschäftigen – jene Geschichten, für die wir sogar bereit sind, Opfer zu bringen, um sie erleben zu dürfen – und wie man sie selbst erzählt.

 

1. Halte, was du versprichst

Geschichten sind niemals umsonst. Die Binsenweisheit, dass schlechte Pizza immer noch besser ist, als gar keine Pizza, gilt für die Unterhaltung im Zeitalter von on-demand nicht mehr. Das Publikum opfert Zeit, Konzentration und möglicherweise sogar Geld – und erwartet dafür eine Gegenleistung. Und auch wenn dieser Punkt strittig ist: Ich glaube, dass diese Gegenleistung immer die Befriedigung von emotionalen Bedürfnissen ist.

Für und gegen welche Geschichte sich eine Person entscheidet, hängt von der Art ihrer Bedürfnisse ab. Als Orientierungspunkt dient ihr dabei die Einordnung von Geschichten in Genres, wie man sie vom Buch- und Filmmarkt kennt. Jemand, der sein Bedürfnis nach Liebe befriedigen möchte, wird sich für einen Liebesfilm entscheiden – treibt ihn sein Machtmotiv an, so wird er sich für einen Actionfilm entscheiden. Dabei sind nicht nur positive Emotionen relevant: Manche Personen gruseln sich gerne, andere gehen ins Kino, um zu weinen – je nach Genre wird eine andere klar vordefinierte Emotion bedient.

Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, so wird das Publikum mit dem Gefühl zurückgelassen, gerade seine Ressourcen verschwendet zu haben. Man stelle sich vor, in der letzten Einstellung von Titanic würde der erfrierende »Jack« auf einen fernen Planeten gebeamt und er müsste, während Celine Dion im Hintergrund plärrt, in einer Arena gegen sechsarmige Monster kämpfen. Lustig? Ja. Ergreifend? Eher nicht.

 

2. Bring jemanden in Schwierigkeiten

Das Herzstück einer jeden Geschichte ist immer ein Charakter, der Hindernisse überwindet, um ein Ziel zu erreichen. Gibt es entweder (a) keinen Charakter, (b) kein Hindernis oder (c) kein Ziel, gibt es auch keine Geschichte.

Das Ziel muss für den Charakter eine hinreichende Motivation darstellen, die Hindernisse zu überwinden, sonst wird es schnell albern. Niemand rennt in ein brennendes Haus, um die Hausschuhe seiner Nachbarin zu retten. Je wichtiger das Ziel, desto mehr wird der Charakter auf sich nehmen, um es zu erreichen. Andersherum muss ein hohes Ziel natürlich auch schwierig zu erreichen sein, sonst wird es langweilig. Wer möchte schon jemandem dabei zusehen, wie er einen schrecklichen Terroranschlag verhindert, indem er an die Polizei eine warnende E-Mail verschickt?

Sowohl das Ziel als auch das Hindernis hängen vom Charakter ab. Für einen zynischen Zwangsneurotiker kann es der härteste Kampf seines Lebens sein, sich eine Woche um den Hund des Nachbarn zu kümmern – für James Bond muss es natürlich stets die Rettung der Welt sein.

Der Fokus auf Konflikt und Ziel hat zur Folge, dass die Grundstruktur einer jeden Geschichte gleich ist, vollkommen unabhängig von der Länge oder erzählerischem Medium. Die hier ausgeführten Regeln sind universell: Sie funktionieren bei einem 100 Stunden Epos genauso gut wie bei einem 30 Sekunden Werbespot. Denn immer geht es um die Veränderung von emotionalen Zuständen bzw. Situationen.

  1. Einleitung:
    Situation/Emotion A definiert Zielsetzung.
  2. Hauptteil:
    Konflikt – Charakter versucht Ziel zu erreichen.
  3. Schluss:
    Situation/Emotion B zeigt Auflösung, ob Ziel erreicht wurde.

 
Nehmen wir zur Verdeutlichung eine sehr lange und eine sehr kurze Geschichte:
Harry Potter (7 Bücher) und »For sale: baby shoes, never worn.« (6 Wörter).

  1. Einleitung:
    Harry führt ein ödes Leben (Unzufriedenheit)/Babyschuhe werden gekauft (Vorfreude).
  2. Hauptteil:
    Harry kämpft gegen Voldemort./Das Baby stirbt o. Ä.
  3. Schluss:
    Harry ist der große Held (Zufriedenheit)/Die Babyschuhe werden wieder verkauft (Verlust).

 

3. Deswegen und aber, aber niemals dann

Während Einleitung und Schluss statische Situationen darstellen, besteht der Hauptteil immer aus einer Kette von kausal zusammenhängenden Sinnabschnitten. Dabei liegt die Betonung auf kausal. Um es mit den Worten von Trey Parker zu sagen: »Wenn zwischen deinen Sinnabschnitten das Wort »dann« steht, bist du am Arsch.« Damit eine Geschichte zusammenhängt, muss jeder Schritt der Geschichte logisch auf dem letzten aufbauen – dies geschieht durch die Wörter »deswegen« oder »aber«. Ist das nicht der Fall, wird die Geschichte für den Empfänger nur eine Ansammlung an unzusammenhängenden Ereignissen sein. Um den »Flow« einer Geschichte beizubehalten, müssen Handlungen stets eine Reaktion auf eine vorherige Handlung sein: »Han Solo deaktiviert den Schutzschirm des Todessterns. Deswegen starten die Rebellen ihren Angriff. Aber das Imperium hat das von Anfang an erwartet.«

Leider ist der Aufbau einer Geschichte extrem kanonisiert und von starken Erwartungshaltungen geprägt. In der Filmindustrie werden daher in erster Linie Story-Templates genutzt, die dann mit Details ausgefüllt werden. Am prominentesten ist dabei die Hero’s Journey, welche die Handlungsstruktur von Filmen und Geschichten wie Star Wars, The Matrix, Harry Potter, Der Herr der Ringe und The Lego Movie benutzt wurde. Andererseits haben sich diese Erzählstrukturen nicht ohne Grund etabliert: Sie funktionieren extrem gut, lassen aber trotzdem genug Freiraum, um die Geschichte individuell anzupassen. Aus Obi Wan wird Morpheus oder Dumbledore oder Gandalf oder Lego-Gandalf – die Funktion innerhalb der Geschichte ist stets identisch. Es ist also keine Schande, sich in Sachen Handlung schamlos bei den Großen zu bedienen.

Erwähnenswert ist, dass die Handlung zwar nachvollziehbar sein muss, aber keinem Realitätscheck standhalten muss. Eine Geschichte muss lediglich die Regeln ihrer eigenen Realität befolgen. Wir akzeptieren ohne zu zögern, dass Harry Potter zaubern kann. Würde aber James Bond einen Zauberstab zücken, wäre das Geschrei groß.

 

4. Emotionen aus zweiter Hand

Beim Erzählen einer Geschichte geht es darum, beim Empfänger bestimmte Emotionen auszulösen. Damit das klappt, muss dieser sich mit einem Charakter identifizieren, durch dessen Augen er die Ereignisse der Geschichte durchlebt. Welche Emotionen dabei der Empfänger empfindet, hängt wiederum davon ab, welche Emotionen der Charakter empfindet – es handelt sich sozusagen um »Stellvertreteremotionen«.

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass, wenn der Charakter nichts empfindet, das Publikum auch nichts empfindet. Oftmals wird Coolness mit Emotionslosigkeit verwechselt (Actionhelden à la Steven Seagal); im anderen Extrem werden Charaktere aber manchmal auch in einem andauernden Zustand emotionaler Überforderung gehalten, was diese zu handlungsunfähigen Zögerern macht (Hamlet). Beides ist von einem emotionalen Standpunkt aus wenig interessant.

(Einen Sonderfall bildet dabei die Spannung einer Geschichte, denn sie funktioniert auch dann, wenn nur dem Publikum Informationen vorenthalten werden, die Charaktere jedoch im Bilde sind. Wer hat seinen Hund ermordet? Was bedeuten die seltsamen Symbole in seiner Scheune? Warum hat sein Kind weiße Pupillen? Wird er den Exorzismus korrekt ausführen?)

Dies führt zum nächsten Punkt: die Nachvollziehbarkeit der Emotionen. Ein Charakter, der in Tränen ausbricht, weil er seinen Stift fallen lässt, löst keine Trauer aus, sondern eher Stirnrunzeln. Doch wie schafft man nachvollziehbare Emotionen?

 

5. Die emotionale Relativitätstheorie

Gemäß dem Leitsatz Character is Action gilt, dass die interne Veränderung stets eine größere emotionale Befriedigung verschafft, als die externe – dies ist angesichts der Stellvertreteremotionen auch nachvollziehbar.

Hier ist der wichtigste Satz dieses Blogbeitrags: Emotionen sind immer relativ. Wie stark oder schwach wir eine Emotion wahrnehmen, hängt immer von der vorhergehenden Emotion ab. Wir fühlen beim Tod eines Charakters keinen Verlust, wenn wir ihn nicht vorher lieben gelernt haben. Wir fühlen keine Genugtuung beim Sieg gegen den Erzfeind, wenn wir von diesem nicht zuvor gedemütigt wurden. Emotion ist kein Fixpunkt, sondern das, was wir erleben, während wir von einem emotionalen Zustand in den nächsten wechseln. Und hier greift wieder das Mantra von Punkt 2. Jede Zustandsänderung muss erkämpft werden, sonst ist sie nichts wert. Jede Emotion ist also eine kleine Geschichte in sich selbst.

Nehmen wir als Beispiel einen Film, der gemeinhin als extrem emotional gilt: Titanic. Zu Beginn sind die Charaktere auf der Suche nach Liebe (Zustand: einsam). Sie treffen sich, müssen aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft aber extreme Hindernisse überwinden (Konflikt), um sich verlieben zu können (Zustand: verliebt). Dann die Katastrophe: Das Schiff sinkt. In tödlicher Gefahr (Zustand: angespannt), müssen sie erneut große Hindernisse überwinden (Konflikt), um sich schließlich zu retten (Zustand: Entspannung). Als Beweis seiner Liebe (Zustand: Liebe) opfert sich Jack für Rose (Konflikt), was die ultimative Emotion des Filmes auslöst: Verlust. Diese Achterbahnfahrt der Gefühle ist ungemein effektiv – egal was man von Titanic nun hält.

Die großartigsten Geschichten schaffen es, dass die emotionalen Veränderungen mit den externen Veränderungen verknüpft sind und sich gegenseitig bedingen. In Der Pate spiegelt die Entwicklung von Michael Corleone den Verlauf der Handlung wider. Seine schleichende Verrohung wird von einem eskalierenden Bandenkrieg angetrieben, dessen Ende wiederum aus der Entwicklung von Michael zum Paten resultiert. Und in unserem Beispiel Titanic wird, wenn auch wenig subtil, die Geschichte einer zum Scheitern verurteilten Liebe mit der Geschichte eines zum Sinken verurteilten Schiffes verbunden.

 

6. 2 absolut geniale Weisheiten, die man von Clickbait lernen kann (Nummer 2 hat mich zu Tränen gerührt)

Die Attraktivität einer Geschichte hängt, wie bei jedem Produkt, vom erwarteten Kundennutzen ab. Absolute Meister in der Generierung von Interesse sind die verpönten Clickbait-Artikel. Meister sind sie, weil sie extrem effektiv eine Erwartungshaltung aufbauen – und verpönt sind sie, weil sie diese Erwartungen dann (meist) nicht erfüllen. Clickbait generiert Interesse immer auf die gleiche Art und Weise: Erstens wird Spannung durch das gezielte Weglassen von Information generiert (der sog. Information-Gap) und zweitens wird eine emotionale Befriedigung in Aussicht gestellt. Dies wird dann in einem Satz zum Ausdruck gebracht, der als Teaser fungiert. So könnte man diesen Blogbeitrag auch folgendermaßen anteasern: »Wir konnten nicht glauben, dass es so einfach sein soll. Also haben wir es ausprobiert. Mehrmals. Das Ergebnis hat uns umgehauen.« Dazu das Bild eines Mannes, der beim Lesen einer Werbeanzeige weint – fertig.

Das Weglassen, worum es eigentlich geht, erzeugt den Wunsch beim Leser, diese Informationslücke zu füllen. Die Aussicht auf eine emotionale Befriedigung – ebenfalls umgehauen zu werden – sorgt für die nötige emotionale Motivation. Keine Frage, das ist eine furchtbare Praxis und die entsprechenden Autoren sollten sich schämen – aber das heißt nicht, dass man davon nichts lernen kann. Die Kombination aus fehlender Information und angedeuteter Emotion ist die bestmögliche Werbung für jede Geschichte. Beurteilt man Filme nur nach ihren Titeln und den Erwartungshaltungen, die sie aufbauen, so wird schnell klar, was einen guten Titel ausmacht:

  • Vier Hochzeiten und ein Todesfall: Was haben vier Hochzeiten und ein Todesfall gemeinsam? Der Titel verspricht auf jeden Fall eine Achterbahnfahrt der Emotionen (Liebe – Verlust), außerdem hört man einen leicht ironischen Ton heraus.
  • Notting Hill: Ist das nicht ein Londoner Stadtteil?
  • Der Tag, an dem die Welt stillstand: Was passiert an dem Tag, an dem die Welt stillsteht? Auf jeden Fall irgendetwas Ehrfurchterregendes!
  • Avatar: Könnte um Profilbilder gehen.
  • There Will Be Blood. Blut wird fließen. Wie? Warum? Von wem?

 

7. TL; DR.

Hier eine Checkliste, um von der Idee zur funktionierenden Geschichte zu gelangen:

  1. Finde heraus, welche Emotion dein Publikum erleben möchte (z. B. Überlegenheit).
  2. Finde einen Charakter, der diese Emotion erleben will. Dieser Charakter empfindet gerade die entgegengesetzte Emotion (Unterlegenheit – Überlegenheit).
  3. Finde ein emotionales Hindernis, dass dein Charakter überwinden muss, um von der unerwünschten Emotion hin zur gewünschten Emotion zu kommen (Selbstzweifel).
  4. Finde für deine anfängliche und deine endgültige Emotion eine entsprechende externe Situation (vom fiesen Bully verprügelt werden – den Bully selber verprügeln).
  5. Finde ein externes Hindernis, dass dein Charakter überwinden muss, um von der Anfangssituation zur Endsituation zu kommen (hartes Training mit Mr. Miyagi)
  6. Hier passiert die Magie: Bringe b) bis e) unter einen Hut. Wenn du das nicht schaffst, benutze eines der zahllosen Story-Templates à la Hero’s Journey.
  7. Geschichte fertig? Dann stelle dem Publikum eine emotionale Befriedigung in Aussicht und wecke Neugierde durch das gezielte Weglassen von Information.
  8. Profit

autor.