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Erinnerst du dich? Von der Kunst, erinnerungswürdig zu sein

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Erinnerst du dich noch an deine letzte Geburtstagsparty? An die vielen Gäste, die sich köstlich amüsiert haben, an die vielen Geschenke und den Geschmack des Geburtstagskuchens? Erinnerst du dich an das Gute oder an das Schlechte – und: wie bist du selbst in deiner Erinnerung? 

Das spannende an Erinnerungen ist, dass sie sich mit der Zeit verändern. Wenn ich dir die Frage von oben also in ein paar Monaten nochmal stelle, wirst du sie mir sehr wahrscheinlich anders beantworten. Nicht weil du mich anlügen wirst, sondern weil wir dieselben Dinge unterschiedlich erinnern. Denn sich an etwas zu erinnern, ist immer ein konstruktiver Prozess in der Gegenwart, der ein bestimmtes Ausmaß an Simulation erfordert. Unser Gehirn simuliert, was war. Allerdings entspricht das niemals dem echten Erleben: Wir verändern, verzerren und verformen die Erinnerung. Ein einfaches Beispiel: Denk an deinen letzten Urlaub zurück – an was erinnerst du dich zuerst? Vielleicht an die Hitze, das schmutzige Hotelzimmer, den Streit mit dem Partner? Unwahrscheinlich! Es ist eher anzunehmen, dass du dich an die schönen Dinge erinnerst. Das was im Urlaub eine Katastrophe war, ist im Nachhinein gar nicht mehr so schlimm.

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Wieso? Unsere Erinnerungen schützen uns und geben uns Sicherheit. Unser Gedächtnis formt die Erinnerungen so, dass sie zum aktuellen Selbstbild passen und zu den Umständen, in denen wir leben. Empirische Untersuchungen haben zum Beispiel gezeigt, dass Menschen ihre Erinnerungen unbewusst so steuern, dass sie dadurch ihr Selbstwertgefühl stärken. Denn würden wir uns an all unsere Fehler, Missgeschicke und schwierige Situationen erinnern, wären wir im Hier und Jetzt nicht mehr fähig zu handeln. Oder wie schon Nietzsche es auf den Punkt brachte: "Wer handeln will, muss vergessen können."  

World, do you remember?

Und genauso wie unser individuelles Gedächtnis funktioniert, so funktioniert auch das Gedächtnis der Menschheit – das sogenannte kollektive Gedächtnis. Denn neben unserem eigenen, individuellen Gedächtnis gibt es auch ein kollektives Gedächtnis. Ein Gedächtnis, das voll ist von Ereignissen und Dingen, an die sich eine Gruppe von Menschen kollektiv erinnert.

Diese gemeinsame Erinnerung bildet dabei den Rahmen dieser Gruppe. Denn durch gemeinsame Erinnerungen wissen wir, wie wir uns zu verhalten haben, welche Gemeinsamkeiten wir haben. Wer bin ich, wer bist du, wer sind wir?

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Fußball WM - Mauerfall 89 – 9/11 – Kniefall von Willy Brandt – Reichspogromnacht

Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis in Deutschland verankert sind, prägen sowohl unser Selbst- als auch unser Weltbild. Denn wir sind, was wir erinnern. Die Zukunft bildet sich aus dem, was wir erinnern, und aus der Gegenwart, die zur Erinnerung wird. Schon in der Antike erkannte man die Macht der des Gedächtnisses. Um Rache, Revanche- und Bürgerkriege zu verhindern, wurde oftmals das Amnesiegebot verhängt – ein kollektives Vergessen vergangener Fehler und Gräueltaten wurde verordnet.

Denn werden diese Ereignisse nicht festgehalten und weitergegeben, sei es durch »Geschichtenerzähler«, als Text, Bild oder O-Ton, werden sie die Zeit nicht überdauern. Denn sie bleiben in einem Gedächtnis verankert, das alltagsnah und gruppengebunden ist. Kulturwissenschaftler Jan Assman spricht dabei vom kommunikativen Gedächtnis. Es ist auf die mündliche Überlieferung der vorangegangenen drei Generationen begrenzt, also auf rund 80 Jahre. Es stirbt mit seinen Trägern. Assmann spricht in diesem Zusammenhang von »struktureller Amnesie« nach Ablauf dieser Zeitspanne.

Festplatten statt Papier – Was macht die Digitalisierung mit unserer Erinnerung?

Doch betrachtet man sich unsere heutige Welt, scheint es, als müsste man sich um so eine Amnesie keine Sorgen mehr machen. Durch die Digitalisierung wird fast alles in der westlichen Welt festgehalten und gespeichert. Jeder hat sein Smartphone ständig bei sich, dokumentiert so selbst Ereignisse, hat aber auch die Möglichkeit, jedes beliebige Ereignis in der Gegenwart oder Vergangenheit in Sekundenschnelle nachzuschlagen.

Für uns selbstverständlich. Ruft man sich jedoch eine Vergangenheit ins Gedächtnis, die noch nicht allzu lang hinter uns liegt, wird deutlich, was für ein Privileg das ist.

Denn der Zugang zu Wissen und Aufzeichnungen über die Vergangenheit war (und ist es leider in vielen Teilen der Welt) nur einigen Wenigen vorbehalten. Dieser Zugang bedeutet nämlich enormes Machtpotential in Sachen Erinnerung. Letztendlich entschieden diese Eliten darüber, was in der Gemeinschaft erinnert und was totgeschwiegen wurde. Und da gemeinsame Erinnerungen den Rahmen einer jenen Gruppe bilden, entschieden die Privilegierten also über die Identität der Gemeinschaft.

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Und heute?

Heute haben wir dank des Internets Zugang zu fast allen Erinnerungen, man könnte meinen, wir leben in einer befreiten Welt. Denn nicht mehr die Elite und Politik entscheidet darüber, was erinnert wird, sondern die Medien, die wir konsumieren (Filterblase ahoi – aber das ist ein anderes Thema). Doch wenn wir nichts mehr gemeinsam einheitlich erinnern, können wir dann noch eine Gesellschaft bilden? Viel mehr haben wir es mit unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu tun, in denen sich ganz unterschiedliche, häufig konkurrierende Deutungen und Formen der Erinnerung (und daran gebundene Identitäten) gegenüberstehen. Der Pluralisierung der Gesellschaft entspricht die Pluralisierung der Erinnerungen.

Dass wir über bestimmte Medien unsere Erinnerungen bilden, ist jedoch nicht nur in Sachen Gemeinschaft problematisch. Zusätzlich stehen wir vor der Frage, wer die Inhalte dieser Medien speichert, wer sie auf lange Zeit archiviert. Jetzt sagst du bestimmt: Es ist doch alles online. Aber: Wer kümmert sich darum? Wer entscheidet, was gespeichert wird? Dabei spreche ich nicht von ein paar Jahren, sondern von Jahrhunderten. Wie wird sich die Zukunft an unsere Gegenwart erinnern?

Und was hat das nun alles mit Emotional Brand Marketing zu tun?

Wir wissen jetzt, dass Erinnerungen die Grundlage einer Gemeinschaft bilden, dass sie auch unsere eigene Identität beeinflussen und dass die Digitalisierung unsere Erinnerungskultur vollkommen neu aufstellt: Sie wird einerseits offener, andererseits bilden sich multiple Gruppen, die unterschiedlich erinnern. Und wir wissen, dass Erinnerung niemals der Realität entspricht. Der Mensch vergisst vieles und formt seine Erinnerungen nach seinen Wünschen. Die zentrale Frage, die uns jedoch im Marketing betrifft: Wie bleibe ich in Erinnerung? Wie erschaffe ich nachhaltige und positiv konnotierte Events, Geschichten und Produkte, an die sich die Menschen zumindest für einen Zeitraum gerne erinnern?

Hier, wie bei jeder Erinnerung, spielen Emotionen die zentrale Rolle. Der Psychologe Hans J. Markowitsch von der Universität Bielefeld fasst es so zusammen: »Ohne Gefühle gibt es keine Erinnerung.«  Denn im Gehirn bestehen zwischen dem für die emotionale Bewertung von Reizen zuständigen Teil (Amygdala) und dem für die Einspeicherung neuer Gedächtnisinhalte wichtigen Hippocampus enge Verbindungen. Bei emotionalen Ereignissen werden Botenstoffe ausgeschüttet, die die Neubildung und Stärkung von Nervenzellverbindungen fördert. Und auf diesen Verbindungen beruht unser Gedächtnis. 

Daher treffen wir nicht nur fast 90% unserer Entscheidungen in der Gegenwart ohne echte Analytik, sondern aufgrund von Emotionen; wir erinnern auch anhand von Emotionen.

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Die Herausforderung für Unternehmen und Marketing ist dabei, die Menschen zu erreichen, sie emotional zu bewegen und ein gutes Gefühl bei Ihnen zu hinterlassen. Nur so schafft man es, im episodischen und damit Langzeit-Gedächtnis des Menschen zu landen. Nur dieser Teil des Gehirns ermöglicht es, mentale Zeitreisen sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft zu machen. Ereignisse, die wir erlebt haben, immer wieder abzurufen und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. 

Seien wir ehrlich, es ist eine Kunst. Wie oft kommt es vor, dass eine Marke dich wirklich berührt? Der Schlüssel dazu liegt in Geschichten, die man als Marke erzählen muss. Von sich selbst als Unternehmen, aber auch von seinen Produkten und besonders den Menschen, die damit zu tun haben. 

Wie man eine Geschichte erzählt, die bewegt, haben wir hier schon einmal erläutert. Wenn du also in Zukunft eine Geschichte erzählen willst, denk daran, dass es dabei um so viel mehr geht, als deine Produkte zu verkaufen – es geht darum, Erinnerungen zu schaffen.