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Facebook: Fluch oder Segen?

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Da war er nun, der Augenblick. Mark Zuckerberg musste vor dem US-Kongress Rede und Antwort stehen und zum Datenskandal aussagen. Die Datenanalysefirma Cambridge Analytica soll die Facebook-Profile von 50 Millionen amerikanischen Nutzern ohne deren Erlaubnis angezapft haben. Daraus wurden Profile entwickelt, um über Posts, ­Fake News und personalisierte Wahlwerbung die Wahlentscheidung dieser 50 Millionen Amerikaner zu beeinflussen. Immerhin könnten nach Einschätzung von Facebook Daten von bis zu 87 Millionen Nutzern weltweit betroffen sein – darunter 310.000 Nutzer in Deutschland.

Während der Facebook-Gründer in Washington Tacheles redet, konzentrieren sich viele Nutzer seiner Plattform viel eher auf die Frage, ob Sophia Thomalla wieder ein neues Selfie gepostet hat. Stattdessen sollten wir uns klarmachen, wie einfach unsere persönlichen Daten heute missbraucht werden können. In diesem Zusammenhang stelle ich mir schon seit längerer Zeit die Frage:

Hat Mark Zuckerberg ein Monster geschaffen, das er nicht mehr kontrollieren kann? Und hat Facebook Donald Trump erschaffen? Facebook ist schon lange keine Plattform mehr, auf der man sich im Stile von Studi VZ oder MySpace nett unterhalten und freundlich austauschen kann. Diese »alten« Plattformen damals waren harmlos. Wollte Facebook die Welt nicht besser machen? War das nicht sein Versprechen gewesen?

© Pawel Kuczynski

©  Pawel Kuczynski

Kurzer Blick zurück:

Ursprünglich gründete Mark Zuckerberg seine soziale Plattform unter dem Namen facemash.com. Auf dieser Seite wurden zwei zufällig ausgewählte Bilder von Studenten und Studentinnen aus den Akten der Schule gezeigt und der Benutzer durfte entscheiden, wer von beiden attraktiver ist. Die Seite blieb allerdings nicht lange bestehen, denn die Bilder hatte Zuckerberg ohne Zustimmung der einzelnen Personen ins Internet gestellt. Danach kam thefacebook.com und letztendlich facebook.com.

Inzwischen sind 14 Jahre vergangen und irgendwie macht es mich nervös, dass Facebook offensichtlich die Kontrolle über sein Riesenreich mit all seinen Möglichkeiten verloren hat.

 

Einige Facts:

Die Kommentarfunktion aus der Hölle.

Achte darauf, was du sagst – die ganze Onlinegemeinde hört mit oder so ähnlich. Soll heißen: »Du darfst da draußen keine Fehler begehen, denn du wirst sofort bestraft«. Zuckerberg hat den Nutzern mit der Kommentar- und Teilen-Funktion ein Machtinstrument gegeben, welches erbarmungslos zuschlägt, falls ein Fauxpas passiert und sich sicher sein kann, dass er sich wie ein Buschfeuer ausbreitet. Ein Unternehmen steht sozusagen permanent unter Beobachtung und ist zum Handeln und zum Gegensteuern gezwungen, falls irgendwas schiefläuft. Es muss so schnell wie möglich auf negatives Feedback reagieren und Konflikte deeskalieren, um einen schlechten Ruf zu vermeiden.

Eigentlich ganz praktisch, könnte man denken – denn so weiß das Unternehmen immer, was der Kunde möchte, was ihm besonders wichtig ist oder was ihn stört. Und zwar aus erster Hand. So einfach ist es leider nicht. Unternehmen müssen aufpassen, den Nutzer nicht so zu verärgern, dass dieser gezielt Desinformation in Umlauf bringt. Die sogenannten Fake News, die völlig aus dem Kontext gerissen sind und nichts mehr mit der wahren Begebenheit zu tun haben. Das Mittel der Desinformation wird zunehmend auch benutzt, um Unternehmen in Misskredit zu bringen. Die Digitalisierung macht solche Angriffsszenarien erschwinglich und damit auch gegen Unternehmen einsetzbar. Sogar große Konzerne können durch Desinformation in Bedrängnis gebracht werden.

Das Social Web wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger. Aus einem geschickt platzierten Post entsteht eine Welle der Meinungsmache, die kaum noch zu stoppen ist.

© Pawel Kuczynski

© Pawel Kuczynski

Ich weiß, was du gestern Abend gemacht hast.

Die Rede ist von personalisierter Werbung. Oberflächlich gesagt: Sobald du einen Schritt ins Web machst, kannst du sicher sein, dass dir irgendwann bei Facebook oder Instagram Produkte von der bunten Kernseife anzeigt werden, die du erst vor kurzem irgendwo gesucht hast. Oder dir haargenau das Möbelstück auf Instagram ausgespielt wird, das du vor kurzem im Möbelhaus angeschaut hast. Es ist abzusehen, dass der Trend dahin geht, dir Produkte bis in den Mikrokosmos anzuzeigen. Das heißt: Es wird eine genaue Persona von dir erstellt. Welche Produkte du dir online angesehen hast, welche Seiten dir gefallen, für welche Themen du dich interessierst. Anschließend wird dir Werbung gezeigt, die zu deinen geheimsten Vorlieben passt – natürlich mit dem Ziel, dass du das angezeigte Produkt kaufst. Uns wird Werbung schon fast aggressiv um die Ohren gehauen. Immer und überall ist Werbung. Die Frage, die man sich hier stellen muss: Nehmen wir als Nutzer das überhaupt noch war? Interessiert es uns noch?

Wer kennt es nicht: Man folgt einem Link bei Facebook, um ein Video anzuschauen, aber bevor es abgespielt wird, muss der Nutzer 30 Sekunden das neue Produkt von WC-Ente über sich ergehen lassen. Das ist bei Werbeunterbrechungen im TV ja noch ok, aber muss es überall sein? Es betrifft nicht nur die sozialen Medien, sondern auch das ganze Web. »Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr« passt hier ganz gut – eine permanente Reizüberflutung sozusagen.

Momentan wird wahrscheinlich damit argumentiert, dass man die Klickbarkeit messen kann und die Klickrate viel über den Erfolg einer Display-Kampagne verraten würde und sie deshalb effizient sei. Ist sie das wirklich oder verbrennen Unternehmen hier nur Werbebudget? Am Beispiel der WC-Ente: Ja. Was vielen Werbetreibenden fehlt, ist die Fähigkeit zur Selbstkritik: Einzusehen, dass rein auf Ausspielung basierende Erlösmodelle der Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden nicht immer gerecht werden können. Es wird wieder Zeit für guten, zielgerichteten, dezenten Content, der aber auch Aufmerksamkeit erregt und steil aus der Sonne kommt.

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© Pawel Kuczynski

#ilovemylife

Wir geben vor, ein Leben zu führen, das wir als Realität darstellen, aber das ihr nicht immer entspricht. Doch woher kommt der Drang, sich auf sozialen Netzwerken wie Instagram präsentieren zu wollen? Was vor einigen Jahren als harmlose Plattform zur Kommunikation und Vernetzung mit Freunden in die Welt gerufen wurde, steht der Welt jetzt als Selbstdarstellungs-Palast zur Verfügung. Es geht schon lange nicht mehr darum, nur Kontakt mit Freunden zu halten oder die unbearbeitete, ehrliche Version von Urlaubsfotos zu teilen. Den meisten ist es schon lange nicht mehr egal, was sie posten und wie viele Likes das Ganze bekommt.

Die Episode »Nosedive« aus der Netflix-Serie Black Mirror ist ein gutes Beispiel. Sehr dystopisch, aber gar nicht mal so weit hergeholt, erzählt es eine Geschichte, in der soziale Medien extreme Macht über Menschen bekommen. Immer freundlich sein, niemals traurig – nur dann wird deine Bewertung in den sozialen Medien steigen und nur dann hast du eine Chance auf einen guten Job und eine schöne Wohnung. Dieses Szenario ist Ausgangslage dieser Folge, in der Menschen stets den Blick auf ihr aktuelles Ranking haben und sich davon bestimmen lassen.

Nice to know:

Die Regierung Chinas plant bis 2020 die Einführung eines »Social-Credit-Systems«.
Das System gewährt jedem Bürger ein Sozialkonto mit 1.000 Punkten, mit jedem Verhalten werden Punkte gewonnen oder verloren. Jede Handlung kann somit direkte Auswirkungen auf das Leben des Einzelnen nach sich ziehen. Neid, Missgunst und vor allem Misstrauen untereinander dürften hier zunehmen.

Einen Hauch davon kann man aber jetzt schon spüren. Das Ansehen des Einzelnen definiert sich schon jetzt durch Likes und die Anzahl der Follower. Je mehr Follower ich habe, desto beliebter und angesehener bin ich.

Beispiel Instagram: Im Mittelpunkt steht die perfekte Selbstinszenierung. Eine alltägliche Situation wird zur Show. Die morgendliche Tasse Kaffee, von der ca. 40 Bilder gemacht wurden, wird zu einem Hochglanzevent. Dann noch ein Weichzeichner drüber, ein tiefsinniges Zitat oder eine Lebensanleitung drunter und ab in den Newsfeed. Gab es nach einer Stunde nicht genügend Likes, droht der soziale Super-GAU.

In einer kreierten Luxus-Atmosphäre, die trotzdem so inszeniert wird, als würde Bescheidenheit regieren, herrschen Marken, Reisen und sexistische Posen getarnt unter feministischen Vorhängen. Es tummeln sich OOTDs, Blumensträuße und veganer Quinoa-Brei mit Kohl und Chia-Samen - gegessen in Zimmern, die von IKEA ausgestattet wurden - auf den Timelines der Menschen. Der langweilige, sich immer wiederholende Posting-Wahnsinn. Guck, was ich für ein aufregend "normales" Leben führe, ist die dezente Botschaft hinter dem Filter.

Und wir gucken hin. Aber warum »stalken« wir Menschen, die für uns selbst keinen Mehrwert schaffen? Bringt man den Begriff des Helden oder besser gesagt des Vorbildes mit ein, wird es absurd. Vorbilder bewundert man, weil sie besondere Eigenschaften besitzen und ihre Taten einzigartig sind. Da fällt mir das Beispiel von David Eubank ein, dem Leiter einer Hilfsorganisation in Mossul, der selbstlos ein kleines Mädchen aus dem Kugelhagel von IS-Kämpfern rettet. Das Video dazu kann man sich hier anschauen. Er riskiert sein eigenes Leben, um anderen zu helfen. Mehr Vorbild geht nicht.

Im Falle von Instagram folgt man einer Person, die man nicht kennt und erfreut sich an ihrem »perfekten Leben«. Aber warum? Denn eigentlich geht es nur um die Person selbst, ein vollkommener Egotrip. Für viele sind gerade diese Personen Vorbilder. Durch ihre Inhalts- und Tatenlosigkeit sind sie jedoch nicht zum Vorbild geeignet. Denn haben wir ein erfüllteres Leben durch Quinoa-Brei mit Kohl und Chia-Samen?

Hat Facebook absichtlich eine Plattform geschaffen, die süchtig macht? Ein System, das eine Schwachstelle in der menschlichen Psyche ausnutzt? Verändert es die Beziehung zur Gesellschaft und zu anderen Menschen?

Welche konkreten Auswirkungen das soziale Netzwerk auf künftige Generationen hat, steht noch in den Sternen. Es ist noch nicht abzusehen, was es in unseren Köpfen macht – ganz besonders in den Köpfen von Kindern.

Wir sollten Social-Media-Profile anderer nicht idealisieren und das Auge für die Realität nicht verlieren, sondern in der eigenen bleiben – die ist nämlich genug Likes wert.

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© http://blogs.longwood.edu 

H&M Lindner

Politiker haben die Macht und die Tragweite noch nicht erkannt, vor allem CDU und SPD hinken hinterher. Die FDP und selbst die AFD hingegen haben die sozialen Medien genutzt, um Wählerstimmen bekommen. Während die FDP mit ihrer Kampagne aus Lifestyle, Mode und einem Hauch von H&M auf Wählerstimmen-Fang gegangen ist, hat es die AFD mit aggressiver Kommunikation versucht. Soziale Medien eignen sich bestens, um politische Botschaften zu verteilen. Die FDP hat alles richtig gemacht und gezeigt, dass diese Plattformen eine ganz neue Art der Wähler-Ansprache ermöglichen und so bisherige Wahlkampf-Methoden in den Schatten stellen können. So präsentieren sich die Parteien jung, frisch und am Zahn der Zeit – auch wenn es manchmal etwas dezenter hätte sein dürfen.

Beide Kampagnen funktionierten und haben der CDU und SPD gezeigt, was für Auswirkungen soziale Medien auf Wahlen haben können. Menschen, die sich im virtuellen Raum zusammenfinden und ihre Ansichten teilen, werden zu einer sozialen Gruppe. Finden sie sich gemeinsam auf der Straße zu Protesten zusammen, wird dieses Ereignis durch Faktoren wie Kollektiverlebnisse weiter verstärkt. Soziale Medien verbinden die Wütenden und Abgehängten, bringen sie im Netz zueinander, zeigen ihnen, dass sie nicht allein sind. Wer sich die oftmals hasserfüllten Kommentare anschaut, sieht, wie stark sich diese Personen hinter dem großen und kleinen Bildschirm fühlen und sich gegenseitig unterstützen. Und manchmal wird aus dem virtuellen Hass eine reale Tat. Die Pegida ist dafür ein gutes Beispiel. Allein durch das Verbreiten von Halbwahrheiten im Internet haben sich hier Nutzer zusammengefunden, die ähnliche Ansichten haben und sich zu Demonstrationen verabreden. Der Rest ist Geschichte. Die AFD wäre ohne diese Gruppierung nicht so groß geworden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Populismus in Europa. Wer Politik und Medien misstraut, sucht in den sozialen Netzwerken Bestätigung. Die Unzufriedenen sind auf Facebook unter sich – und leichte Beute für Populisten. Menschen, die das Gefühl haben, dass die politische Klasse sie nicht mehr versteht, nutzen soziale Medien intensiv. Sie sehen nur noch das, was sie sehen wollen. Und unterscheiden nicht mehr zwischen wahr und falsch. Das, was ihnen auf dem Silbertablett serviert wird, muss der Wahrheit entsprechen. Denn sie denken, dass hinter Journalisten der klassischen Medien die »Lügenpresse« lauert. Genau das macht es den Populisten so einfach: Sie profilieren sich durch die Sorgen und Ängste anderer. Sie aktivieren schnell geschaffene Communities und sind damit erfolgreich.


Der Ex-Facebook-Präsident Sean Parker sagte in einem Interview, dass es ihm inzwischen vor den Folgen des Netzwerks für das Sozialgefüge, vor diesem toxischen Kreislauf aus Popularität und populären Meinungen graust. Die »soziale Bestätigungsmaschine« sei gemacht, um die »menschliche Verletzlichkeit psychologisch auszubeuten«, kritisierte Parker – und zwar durch ein System von künstlicher Bestätigung. Durch Herzchen und Likes. »Gott weiß, was das in den Gehirnen unserer Kinder anrichtet.«

Auch Chamath Palihapitiya, ehemaliger leitender Angestellter bei Facebook, gab im Dezember zu, dass ihn extreme Schuldgefühle über die Firma, die er half aufzubauen, plagen würden: Ich denke, wir haben Werkzeuge geschaffen, die das soziale Gefüge einer funktionierenden Gesellschaft zerreißen."

Es bleibt abzuwarten, wie sich alles entwickelt. In der Zwischenzeit warte ich einfach, bis Sophia Thomalla wieder ein Bild auf Instagram postet.

 

Quellen: 

https://de-de.facebook.com/pg/pawelkuczynskiart/

http://blogs.longwood.edu/ngrant/social-media-addiction-op-ed/