STRATEGIE

Öffentlich-rechtliches Fernsehen vs. Streamingdienste

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Der Rundfunkbeitrag bringt den Öffentlich-Rechtlichen jedes Jahr eine Menge Geld ein.
Aber ist dieser noch zeitgemäß und kann der Rundfunkbeitrag es mit Streaming-Giganten wie Netflix aufnehmen?

Fakt ist eins: Im Universum bezahlt jede*r den Rundfunkbeitrag. Ob Mensch, Außerirdischer oder Mikrobakterium. Sobald man eine Wohnung sein Eigen nennt, bekommt man den Zugang zum Öffentlich-Rechtlichen als Gimmick dazu. Das ist in Stein gemeißelt, daran können nicht einmal die »Avengers« was ändern. So scheint es jedenfalls. Der letzte Versuch, sich dem entgegenzustellen, scheiterte vorm Bundesverfassungsgericht. Doch anstatt des Versuchs, am Gebührenmodell zu rütteln, kommt der Endgegner eventuell in Form eines Streaming-Anbieters namens Netflix daher, der die Öffentlich-Rechtlichen ordentlich ins Schwitzen bringen könnte.

Über 20 Fernsehkanäle und 70 Rundfunkkanäle haben die Öffentlich-Rechtlichen im Angebot.
Mit den Einnahmen von 17,50 € monatlich pro Haushalt wird dieses Angebot aktuell finanziert. Aber braucht heutzutage noch jemand dieses Überangebot und wird es überhaupt geschaut? Jetzt kommt wieder das Argument »Man könnte ja« und der »Bildungsauftrag«. Gähn ... Im Ernst: wer schaut schon 20 Fernsehkanäle und findet, dass Mord und Totschlag zum Bildungsauftrag gehören? Die Ausstrahlung eines »Man könnte es schauen«-Programms steht im Widerspruch zum Mediennutzungsverhalten, welches momentan einen Wandel durchläuft.

Warum klassisch zurückgelehnt konsumieren, wenn man aktiv die gewünschten Inhalte auswählen kann? Der Trend geht hin zu Individualisierung und Exklusivität. Für viele Konsumenten*innen ist der Trend der Video-Angebote sehr attraktiv. Durch die Möglichkeit zum Abonnement einzelner, spezialisierter Anbieter zahlt der/die Kunde/Kundin nur für das, was er/sie auch wirklich konsumiert – wer Spielfilme liebt, muss nicht länger Sportrechte subventionieren, Fußballfans müssen nicht mehr für Spielfilme zahlen. Unterm Strich heißt das: Millionen Zuschauer*innen gewöhnen sich an eine zielgenaue Befriedigung ihrer Spaßbedürfnisse und das lineare Fernsehen verliert an kultureller Bedeutung.

Expansion

Allein im vergangenen Jahr investierte der Konzern Netflix aus dem kalifornischen Los Gatos zwölf Milliarden Dollar in eigene Produktionen. In Europa hat Netflix bereits für 8000 Kinofilme die Rechte gekauft. Die Abonnentenzahl beträgt fast 150 Millionen, Tendenz weiter steigend, und mit Apple steigt nun ein weiterer Player neben Amazon, Disney Warner und YouTube in den Ring. Hier ist definitiv Vorsicht vor Überangebot geboten, aber Netflix, Amazon und Co. könnten dem »Fernsehen auf Abruf" endgültig zum Durchbruch und vielleicht auch dem Kino zu einem Revival verhelfen.

Der Bildungsauftrag ist cool

Was die Bildung angeht, veröffentlicht Netflix immer mehr Dokumentarfilme und -serien. Und macht damit ARD und ZDF Konkurrenz. Davon ausgenommen ist Arte. Ich persönlich liebe Arte. Netflix greift damit die Kernkompetenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an. Momentan hat der Streaminganbieter über 500 Dokumentarfilme und –serien im Angebot, die dauerhaft abrufbar sind. Mit den hauseigenen Produktionen nimmt man durchaus auf lokale und regionale Geschmäcker in den Ländermärkten Rücksicht und setzt den klassischen Fernsehsendern so immer stärker zu. Im zahlenmäßigen Vergleich führen die öffentlich-rechtlichen Sender natürlich weit. Allerdings haben ihre Formate neben der x-ten Weltkriegs- und UFO-Doku reißerische Titel wie Wilde Schlösser, Unsere wilde Schweiz und Wildes Venedig vs. The True Cost, What the Health, Minimalism oder Ikarus.

Natürlich ist klar, dass der Bildungsauftrag nicht nur durch Dokus abgedeckt ist. Darin stecken auch investigativer Qualitätsjournalismus, Wissens- und Kulturvermittlung, Übermittlung sozialer, kultureller und geschichtlicher Zusammenhänge sowie Förderung der Toleranz.

Damit den Öffentlich-Rechtlichen die werberelevante Zielgruppe aber nicht ganz wegläuft, wären frische neue Themen und bessere Titel für ihre Produktionen gar nicht mal so schlecht. Denn sonst werden Netflix und Co. sie bald nicht nur beim Unterhaltungs-, sondern auch beim Bildungsauftrag überholen.ZDF_Netflix_Contentbild

Mal schnell geupdatet

Der neue Rundfunkstaatsvertrag (RStV) Nr. LZ22 legt einen jahrelangen Streit zwischen den Zeitungsverlagen und den Rundfunkanstalten bei. Anlass des neuen Entwurfs war u. a. die von den Verlagen angestrebte Abgrenzung der Printmedien von den Angeboten der Rundfunkanstalten. Hintergrund des Streits war die verstärkte Onlinepräsenz auch öffentlich-rechtlicher Sender. Auf Apps oder Webseiten der Sender wurden Nachrichten auch in kurzen Texten zusammengefasst. Darin sahen die Zeitungen ein gebührenfinanziertes Konkurrenzprogramm zu ihren Angeboten. Der Streit gipfelte im Verfahren um die Tagesschau-App. So die Headline …

Im eigentlichen Sinne ist aber das Angebot der Sender hinsichtlich der Mediatheken ausgeweitet worden. Kurzum, die Verweildauer der Inhalte wurde geändert. Sie entscheiden nun selbst, wie lange sie die Produktionen in den Archiven zur Verfügung stellen. Bisher war dies für nur maximal 7 Tage zulässig. Jetzt dürfen:

  • Tägliche Serien bis maximal 30 Tage
  • Dokumentationen und Informationssendungen bis zu 12 Monate
  • Kulturelle Beiträge bis zu 5 Jahre
  • Sportgroßereignisse 25 Stunden

online bleiben. Bei wöchentlichen Serien und Filmen gelten andere Verweildauern. Darüber hinaus sollen auch ausländische Filme und Sendungen (Lizenzware) eingekauft werden und in den Mediatheken abrufbar sein. Allerdings bleibt es auf europäische Produktionen beschränkt.

Denn das Problem vorher war: Angekaufte Spielfilme und Serien, die keine Auftragsproduktionen waren, durften ARD und ZDF nicht online verfügbar machen. Denn der verfassungsrechtliche Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besteht nicht im Aufbau einer Videoplattform, die kommerziellen Angeboten Konkurrenz macht. Hört sich aber eigentlich danach an: Wie kann ich mit Netflix oder anderen Streaming-Diensten mithalten und wie kann man die Rundfunkgebühren weiterhin legitimieren? Das Problem hierbei ist: Internationale Produktionen sind hiervon ausgeschlossen. Bei den oben genannten Streaming-Diensten gibt es diese Regelung nicht. Ganz klar, diese werden ja auch nicht über einen Pflichtbeitrag finanziert.

Solche Einkäufe sind teuer, was sicherlich auch an den hohen Lizenzkosten liegt, und man stellt sich die Frage: Ist die Mediathek der öffentlich-rechtlichen Sender der richtige Ort für Kino- und große Fernsehproduktionen, die nicht mal annähernd von der Haushaltsabgabe gedeckt sind? Stattdessen wird über eine Rundfunkbeitragserhöhung gesprochen. Wie wäre es denn mal mit Verschlankung, statt immer weiter die Altlast mitzuschleppen, die keiner mehr braucht?

Warum nicht neue Wege gehen? Braucht man einen riesigen Apparat von 20 Fernseh- und 70 Rundfunkkanälen, um die Inhalte ans Volk zu bringen? Man möchte Netflix Konkurrenz machen und die Zielgruppe der jungen Leute ansprechen, verharrt aber auf der Stelle und hält sich an alten Strukturen fest.

Ich weiß, was du morgen gesehen hast

An sich sind die Mediatheken von ARD und ZDF ebenso digitale Streaming-Portale wie Netflix und Co. Mit dem Unterschied, dass es zusätzlich noch ein Fernsehprogramm gibt, wo dieselben Inhalte laufen wie in den Mediatheken. Das ZDF argumentiert damit, dass sich Vorab-Angebote lohnen. Die Möglichkeit, im Anschluss an eine erste Folge im Fernsehen gleich weitere Folgen in der Mediathek sehen zu können, sei stark gefragt. Ehrlich? Werden durch Vorab-Veröffentlichung in der Mediathek aus dem linearen Fernsehen nicht doch in größerem Ausmaß Zuschauer*innen abgezogen? Wird durch die Ausweitung der Verweildauer der Inhalte das lineare Gucken nicht noch irrelevanter oder brauche ich ein zusätzliches lineares Fernsehprogramm, wenn ich das lineare Fernsehprogramm in der Mediathek eh schon drin hab? Hört sich doppelt gemoppelt an. Hier wird wieder hervorgehoben, dass beide Formate (Online/TV), je nachdem wie der Zuschauer*innen halt am liebsten konsumiert, angeboten werden. Ich glaube, so argumentiert man nur, wenn man wirtschaftlich unabhängig ist. 

Fazit

Zusammengefasst soll es nicht heißen, dass die Öffentlich-Rechtlichen keinen Bestand mehr haben. Qualitativ können sie punkten, was man z. B. an Arte sehen kann. Nur ist es Zeit, sich Veränderungen einzugestehen.

Klar ist: wenn man die gesamte Unternehmensstruktur des ARD/ZDF optimieren und minimieren würde, fallen Arbeitsplätze weg. Das versucht man mit dem regelmäßigen Anpassen des Rundfunkstaatsvertrages zu verhindern. Diese Art und Weise ist in meinen Augen jedoch nicht mehr zeitgemäß. Denn Drohungen mit Zwangsvollstreckungs-Maßnahmen, weil man ein Fernsehprogramm nicht schauen möchte, sind vielleicht zweckmäßig, rein logisch betrachtet eher fragwürdig.