DESIGN STRATEGIE KONZEPT

Die Digital Gender Gap und ihre Auswirkungen

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Im Netz und insbesondere im Social Web sind alle Menschen gleich und haben dieselben Chancen. Schließlich hat jede*r Mensch mit Internetzugang dieselben Möglichkeiten, Inhalte zu erstellen und zu teilen. So lautet die (durchaus schlüssige) Idealvorstellung, wenn es um Teilhabe in Sachen digitaler Fortschritt geht. Leider zeigt sich immer öfter, dass der Alltag anders aussieht. Die Kluft zwischen den Geschlechtern besteht auch im Internet. Sie heißt dort Digital Gender Gap.

Das Konzept Gender Gap ist nichts Neues: Wir kennen

  • Gender Pay Gap: die Einkommenslücke von Männern* und Frauen*,
  • Gender Pension Gap: die Rentenlücke von Männern* und Frauen*,
  • Gender Health Gap: die geschlechtsspezifischen Unterschiede in Gesundheitszustand bzw. -versorgung
  • und noch viele weitere.

Je nach Weltregion gibt es mehr oder weniger Kluft und selbstverständlich gibt es jenseits des ethischen Prinzips der Gleichberechtigung auch immer wieder Zweifel, ob es wirtschaftlich lohnenswert ist, die Gender Gap zu überwinden. Während es in einigen anderen Ländern bereits selbstverständlich ist, einen hohen Anteil an Frauen* in Führungspositionen zu haben, wird in Deutschland noch oft die Notwendigkeit dessen hinterfragt.

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Das »Lagebild zu Gender(un)gleichheiten«

Eine Studie, die den Digitalisierungsgrad der deutschen Gesellschaft misst, kommt zum Ergebnis, dass sich selbiger bei Männern* und Frauen* deutlich unterscheidet. Ihr Untertitel heißt »Lagebild zu Gender(un)gleichheiten in der digitalisierten Welt« und beurteilt wurden die Bereiche Zugang, Nutzungsverhalten, Kompetenz und Offenheit. Übrigens war Geschlecht nicht das einzige Merkmal, bei dem entsprechende Unterschiede festgestellt wurden. Vielmehr spielen weitere Aspekte wie Bildung, Beruf, Alter, Stadt/Land etc. ebenfalls eine wichtige Rolle. Trotzdem ist ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Männern* und Frauen* sichtbar.

Bei der Befragung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ergab sich beispielsweise, dass der überwiegende Teil von ihnen recht versiert darin ist, Inhalte in soziale Netzwerke einzustellen. Wenn es aber um die Einrichtung von Heimnetzwerken oder Gestaltung von Blogs geht, werden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern besonders deutlich: Männer* sind hier versierter als Frauen*. Bezüglich Selbst- und Fremdeinschätzung wird regelmäßig bestätigt, dass Männer* ihre Kompetenzen über- und Frauen* ihre Kompetenzen unterschätzen. Trotzdem ist diese Einschränkung nur ein Teil der Erklärung – vor allem wurde bei dieser Studie versucht, durch die Abfrage von Fachbegriffen einen entsprechenden Gegencheck vorzunehmen.

In späteren Berufsjahren zeichnet sich dann das Bild ab, dass Männer* mehr Interesse an digitalen Trends und auch am digitalen Wissensaufbau haben. Aber auch die Berufswahl ist hier relevant – in weiblich* geprägten Berufsfeldern spielen die digitalen Grundkompetenzen oft nur eine geringe Rolle. Eine Teilzeitbeschäftigung ist bei Weitem nicht das einzige Argument für eine Gender Gap: Die Studie hat nämlich auch ergeben, dass in Vollzeit berufstätige Männer* besser mit mobilen Geräten und digitalen Anwendungen ausgestattet sind als die in Vollzeit berufstätigen Frauen*. Umgekehrt empfinden Männer* mehr Pflicht, mit den digitalen Fortschritten mitzuhalten, und spüren infolgedessen einen dauerhaften Lern- und Anpassungsdruck. Interessanterweise gilt das auch für Männer* mit einfachen Berufen, obwohl dort weniger digitale Kompetenz vonnöten ist – es scheint, als würde sich Digitalkompetenz zum neuen Statussymbol entwickeln.

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Aktiv gegen die Gender Gap vorgehen

Die möglichen Gründe für diese Diskrepanz sind vielfältig. Wie Männer* und Frauen* in ihrer Kindheit und Jugend geprägt werden, spielt dabei hinein, weil sich diese Muster oft genug im Erwachsenenalter fortsetzen – darunter fällt beispielsweise die klassische Rollenverteilung, in der der Mann* sich um die Technik im gemeinsamen Alltag kümmert und die Frau* den Nachwuchs betreut. Ein weiterer Faktor dürfte sein, dass viele Produkte, von Autos bis zu Gesichtserkennungsdiensten, immer noch ausschließlich für Männer* designt werden. Dadurch entwickeln Frauen* im besten Fall »nur« weniger Begeisterung für bestimmte Themen, im ungünstigeren Fall werden ihre Herzinfarkt-Symptome nicht oder nicht rechtzeitig erkannt. Zu diesem nicht nur aus UX-Sicht überaus spannenden Thema gibt es mittlerweile auch schon die ersten Bücher, zum Beispiel »Unsichtbare Frauen«. Potenziell gelten fast alle anderen Gründe, die im Rahmen der anderen Gender Gaps vermutet werden, auch bei der Digital Gender Gap, beispielsweise Berufswahl, berufliche Unterbrechungen aufgrund von Familienarbeit bei Frauen*, zeitliche und emotionale Belastung durch Carearbeit bei Frauen*, geschlechtsstereotypische Rollenbilder in der Gesellschaft etc.

Die Handlungsempfehlungen der Studie sind vielfältig und die folgenden Punkte nur eine kleine Auswahl: 

  • Gendersensible Didaktik, beispielsweise die Ausrichtung von Weiterbildungen auf Menschen mit wenig Zeit oder die Verdeutlichung des praktischen Nutzens für den Alltag
  • Weibliche* Rollenvorbilder im digitalen Umfeld stärken
  • Bessere kommunikative und partizipative Maßnahmen bei der Einführung neuer Techniken
  • Verantwortung von Unternehmen für Diversität und Gleichberechtigung

Ich halte es für wichtig, sich zuerst bewusst zu machen, dass sich die altbekannte Geschlechterdiskrepanz im Netz nicht etwa aufgelöst hat, sondern genauso vorhanden ist wie im analogen Leben. Als private*r Nutzer*in könnte mensch beispielsweise darauf achten, ob die Frauen* im Familien- und Freund*innen-Kreis mehr Zeit und Ressourcen benötigen, um sich mit der aktuellen Technik auseinander zu setzen. Hilfe zur Selbsthilfe statt einem »Ach, ich mach’s dir schnell …« ist hier die Art und Weise, wie sich auch langfristig etwas ändert. 

Handlungsoptionen für Unternehmen

Für Unternehmen ist es ein wichtiger Ansatzpunkt, bei Produktentwicklungen darauf zu achten, dass auch weibliche* Nutzerinnen und Testerinnen und ihre Anregungen einbezogen werden. Das kann und sollte bei so ziemlich allem geschehen: Ob es nun Größe und Gewicht einer Shampoo-Flasche betrifft, die Temperatur-Empfehlungen einer Klimaanlage, die Architektur eines Bürogebäudes oder die intuitive Bedienbarkeit einer App (und nein, nur weil eine App rosa-pinke Farbwelten verwendet, fühlen sich Frauen nicht automatisch davon angesprochen, wie manche Zyklus-App-Hersteller zu denken scheinen).

Außerdem sollten Firmen dafür sorgen, dass die Frauen* unter den Mitarbeitenden digital genauso ausgestattet und gefördert werden wie die Männer*, was bislang nicht der Fall ist. Auch wenn Frauen* das nicht immer so vehement und aktiv einfordern wie Männer*, gehört es m.E. durchaus zur ethisch-sozialen Verantwortung eines Arbeitgebers, hier für Chancengleichheit zu sorgen. Niedrigschwelligkeit ist hier das Stichwort – Zugang zu digitalem Know-how und Ressourcen sollte in modernen Unternehmen kein Bonus sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Es geht nicht ohne Frauen*

Die Zukunft ist digital. Der Digitalisierungsgrad unserer Gesellschaft wird aber nicht besser, wenn nur einige wenige Menschen sich immer besser auskennen. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe und -herausforderung, so viele Menschen wie möglich mitzunehmen. Natürlich braucht es dafür Leuchtturm-Projekte und politischen Willen, aber hier kann auch jede*r im Kleinen anfangen und Überzeugungsarbeit wie Unterstützung gleichermaßen leisten.

Für Unternehmen bieten sich hier Differenzierungschancen. Denn wenn bei Entwicklung von Produkten auch auf weibliche* Bedürfnisse geachtet wird, lässt sich die Zielgruppe der Frauen* gezielt ansprechen und aktivieren. Besonders überzeugend wirken solche Ansätze, wenn eine Firma ihre Mitarbeitenden gleichbehandelt und zudem ausgewogen in Führungspositionen repräsentiert. Es ist damit auch aus ökonomischer Sicht eine lohnenswerte Strategie, der Gender Gap entgegen zu wirken.

 

* Viele der hier angesprochenen Studien verwenden die Geschlechter Männer und Frauen im biologischen Sinne und lassen nicht-binäre Personen außer Acht. Ich verwende hier Gender-Sternchen, um darauf hinzuweisen, dass die Begriffe Männer und Frauen in diesem Artikel nicht als biologisches, sondern als soziales Geschlecht verwendet werden, und es mehr als nur zwei Geschlechter gibt.

autor.

Autorenbild Hanna Hartberger

Beim Jahr 2017 merkte man schnell, dass es politisch denkwürdig werden würde. Hanna wusste, dass sie sich nicht nur wegen berühmter Persönlichkeiten daran erinnern würde. Sie entschied sich nämlich im selben Jahr für einen neuen Karriereschritt und wechselte zu arsmedium ins Content Management.

Wieder zurück in der fränkischen Heimat lebt sie sich hier nun bei verschiedensten Online-Projekten aus. In einem früheren Leben hat sie zwar Buchwissenschaft und Germanistik studiert, aber die Verlockungen des World Wide Web faszinierten sie schon im Studium, bis sie ihnen im Laufe ihres Arbeitslebens völlig erlag. Die zertifizierte Online-Marketing-Managerin ist sowieso der Ansicht, dass zwischen Internet und Verlagswesen keine allzu großen Unterschiede bestehen – guter Content hat in beiden Bereichen die besten Chancen, sich durchzusetzen. Getreu diesem Motto kennt sich Hanna mit Content-Erstellung jeglicher Art aus und stellt den neuen Content am liebsten auch gleich online. Selbst wenn die x-te Änderungsrunde einer Seite diskutiert wird, kann sie das nicht aus der Ruhe bringen, denn:

»Nichts ist beständiger als der Wandel.«
Heraklit, vielleicht auch Charles Darwin

Auch das private Interessenspektrum unserer Allrounderin ist schier unendlich: Es reicht von Fotografie bis Menschenrechte, von Feminismus bis Low-Carb-Backen, von Serien-Binge-Watching bis Bloggen. Und natürlich möchte sie irgendwann die Weltherrschaft erringen.

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