Es gibt Momente, die ich nicht vergessen kann, selbst wenn sie eher unwichtig erscheinen. Einen davon möchte ich gern teilen: Vier Freundinnen seit Schulzeiten, alle etwa 30 Jahre alt, besuchen die fünfte im Bunde. Diese hat seit Kurzem einen Staubsaugerroboter und führt ihn stolz vor. Ihre Gäste sind begeistert von dem süßen Roboter und gemeinsam überlegen sie, welchen Namen sie ihm geben könnten. Ich sitze dabei und frage mich, ob ich versehentlich im falschen Film gelandet bin.
Wie können erwachsene Menschen derartige Gefühle für eine Maschine entwickeln? Natürlich verstehe ich die Wertschätzung für gewisse Technik – ich liebe meine Spülmaschine sehr, aber ich würde ihr trotzdem nie einen Namen geben. Zugegeben, seit ich dem Teenie-Alter entwachsen bin, besitze ich auch keine Kuscheltiere mehr. Insofern bin ich wahrscheinlich ein eher unemotionales Exemplar des Homo sapiens. Trotzdem frage ich mich, was dahintersteckt.
Maschinen vermenschlichen
Der Fachbegriff für dieses Phänomen heißt bei Kindern Animismus (danke an meine Kollegen aus dem Qualitätsmanagement, die mich mit diesem Begriff versorgt haben, als ich laut dazu gerätselt habe). Gemeint ist damit, dass unbelebten Dingen menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben werden – für Kinder in einer bestimmten Entwicklungsphase vollkommen normal. Bei Erwachsenen ist hingegen von Anthropomorphismus die Rede, wenn Tiere, Götter oder Roboter vermenschlicht werden.
Ich frage mich, ob es ein Reflex ist, um mit einer Angst umzugehen. Denn in gewisser Weise ist ein intelligent erscheinender Staubsauger, der vermeintlich von selbst weiß, wo er hinfahren und saugen muss, durchaus furchteinflößend. Wahrscheinlich sind Apple und Amazon zu demselben Schluss gekommen, da sie ihren KI-gesteuerten virtuellen Assistenzen bereits vorab menschlich erscheinende Namen wie Siri und Alexa gegeben haben. (Genauer gesagt, weibliche Namen und Stimmen, da diese den meisten Menschen laut Studien sympathischer erscheinen. Die Rollenklischees, die zu derartigen Studienergebnissen führen, habe ich in meinem Artikel zur Digital Gender Gap bereits angesprochen.)
Kontrolle der künstlichen Intelligenz
Nicht umsonst gibt es unzählige Filme über Maschinen mit künstlicher Intelligenz (= KI), die sich über ihre menschlichen Schöpfer*innen erheben, und bei denen gern diskutiert wird, wie realistisch diese Szenarien jeweils sind. Die Annahme, dass es in Zukunft immer mehr KI geben wird, scheint sich bei allen Menschen hierzulande durchzusetzen – und dass das viele Chancen mit sich bringt. Doch gleichzeitig wird auch der Wunsch nach Kontrolle laut, da, je nach Sparte, die verschiedensten Ängste mit KI einhergehen. Laut Expert*innen ist dieses Bedürfnis auch überhaupt nicht falsch: So erklärt die Sozioinformatikerin Katharina Zweig in dem Buch »Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl«, dass wir die Herrschaft über Algorithmen nicht allein den Informatiker*innen überlassen dürfen. Ethische und moralische Fragen müssen einbezogen und geklärt werden, ebenso wie die, inwieweit wir Menschen Entscheidungen an einen Algorithmus auslagern können oder sollen oder dürfen.
Abgesehen von dieser theoretischen Ebene stellt sich aber für jeden einzelnen Menschen die Frage, welches der beste Umgang mit dieser künstlichen Intelligenz ist. Vermenschlichung, womöglich sogar Verniedlichung, hilft dabei, mit etwas umzugehen, bei dem es schwerfällt, es überhaupt zu verstehen. Oder das einen verunsichert.
Das Maß ist entscheidend
Forschungsansätze, wie die Uncanny-Valley-Hypothese, wollen herausgefunden haben, dass ein gewisses Maß an Menschenähnlichkeit zu einer höheren Akzeptanz der Maschinen bei ihren menschlichen Nutzer*innen führt. Allerdings nur bis zu einem gewissen Grad – zu hohe Ähnlichkeit, wie beispielsweise bei Androiden, würde als unheimlich empfunden. Schließlich haben wir Menschen das Bedürfnis, alles, was uns begegnet, klar in eine Schublade einzuordnen: Mensch oder Maschine. Bei Maschinen mit allzu menschenähnlichen Zügen fällt das schwer. Aber prinzipiell verarbeiten Menschen Informationen besser, wenn sie von einem Computerprogramm präsentiert werden, das ein bisschen menschenähnlich aussieht und sich so verhält.
Es scheint, als hätten sich die bereits erwähnten Firmen Apple und Amazon genau dieses Wissen bei ihren Assistenz-Programmen zunutze gemacht: Menschlicher Name, menschliche Stimme, menschliche Verhaltensweisen und Höflichkeitsformen, aber keine Menschenoptik. Gewissermaßen als Notbremse, damit niemand auf die Idee kommt, den Assistentinnen ernst gemeinte Heiratsanträge zu machen, auch wenn die Antwort auf diese Frage einprogrammiert ist.
Herausforderungen für Unternehmen
Wenn Unternehmen KI einsetzen, gibt es neben dem Design noch einige weitere Aspekte, die sie beachten sollten:
- Sie sollten erklären können, was die Algorithmen machen und wie sie funktionieren, Stichwort Explainable Artificial Intelligence (= XAI).
- Sie sollten dafür sorgen, dass bei der Entwicklung der KI kein Bias, eine Verzerrung, entsteht, aufgrund dessen bei einer Gesichtserkennungssoftware bspw. Menschen mit schwarzer Hautfarbe schlechter erkannt werden als Menschen mit weißer Hautfarbe.
- Sie sollten qualifizierte Mitarbeiter*innen akquirieren oder weiterbilden, die zum Beispiel in der Lage sind, Daten auszuwerten und sie korrekt zu beurteilen.
Insgesamt geht es darum, Vertrauen zu schaffen. Menschliche Ängste, ob nun von Kund*innen oder Mitarbeiter*innen, sind bei KI meines Erachtens absolut berechtigt. Insofern ist es wichtig für Unternehmen, ihre Hausaufgaben zu machen. Sie sollten dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die Entwicklung unter ethischen Aspekten stattfindet als auch dass die Stakeholder*innen, die mit der KI zu tun haben, umfassend über sie aufgeklärt werden – auch wenn durch die Corona-Pandemie bei einigen KIs sicherlich Anpassungen aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen im täglichen Leben vorgenommen werden müssen. Möglicherweise sind Kooperationen eine Lösung, um mit den veränderten Rahmenbedingungen umzugehen.
Alltäglicher Umgang mit künstlicher Intelligenz
Das Erlebnis mit meinen Freundinnen und dem Staubsaugerroboter vor ein paar Jahren war somit keine Ausnahme, sondern Teil eines weit verbreiteten Versuchs von uns Menschen, ein angemessenes Verhältnis zu den Maschinen zu entwickeln. Menschlichen Instinkten der Höflichkeit zu widerstehen, fällt uns schwer – wenn jemand »Guten Morgen« sagt, antworten wir. Völlig egal, ob es unsere menschliche Nachbarin, der Barista oder ein künstlicher Assistent ist. Genauso stellt sich die Frage: Wie gehen wir damit um, wenn »etwas« durch unsere Wohnung fährt und staubsaugt? Ähnlich einer menschlichen Putzhilfe geben wir dem Wesen einen Namen und stellen es stolz unseren Lieblingsmenschen vor.
Auch wenn viele Unternehmen mithilfe neuer Studiengänge wie Roboterpsychologie versuchen werden, intelligente Maschinen so niedrigschwellig bedienbar wie möglich zu entwerfen, gehe ich trotzdem davon aus, dass die Geräte umgekehrt auch uns beeinflussen. Das sah auch der Medientheoretiker Marshall McLuhan so, der außerdem darauf hinwies, dass wir mit jeder Technik, die uns Arbeit abnimmt, auch die Kompetenz verlieren, diese zu erledigen. Dies ist zweifelsohne eine langfristige Entwicklung, aber keine unwahrscheinliche: Wer außer unseren Großeltern könnte zum Beispiel heute noch mit einem Waschbrett die Wäsche reinigen? Trotzdem möchten bestimmt die wenigsten Menschen auf ihre Waschmaschine verzichten. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich unsere Gepflogenheiten im Umgang mit künstlicher Intelligenz in den kommenden Jahren verändern werden.