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Wie viel Wahrheit in »Black Mirror« steckt

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Früher bestand Science-Fiction in der Pop-Kultur aus wissenschaftlich-technischen Spekulationen, Raumfahrt, ferner Zukunft, fremden Zivilisationen und zukünftigen Entwicklungen. Mit Hoverboards, Aliens oder Lichtschwertern. Heutzutage ist Sci-Fi oft viel näher an unseren Alltag angelehnt: Im Vordergrund stehen nun aktuelle Technologien und alltägliche Gegenstände – wie zum Beispiel Smartphones.

Eine der bekanntesten aktuellen Sci-Fi-Serien kommt ursprünglich aus Großbritannien und ist ein Dauerbrenner des Streaming-Giganten Netflix: Black Mirror. Jede Folge dieser dystopischen Serie ist eine abgeschlossene, eigenständige Geschichte, oft sogar in Spielfilm-Länge. Thematisiert werden hierbei – ganz grob gesagt – die verschiedenen Auswirkungen von Digitalisierung, Technologie und Medien auf die Gesellschaft.

Im folgenden Artikel erkläre ich, wie wahrscheinlich es ist, dass ausgewählte Szenarien aus Black Mirror bald Wirklichkeit werden – oder es sogar schon sind. Für alle, die die Serie noch nicht durchgebinged haben, an dieser Stelle ein ganz großer SPOILER ALERT. Ihr solltet lieber (noch) nicht weiterlesen. 

Staffel 1, Folge 1: »Der Wille des Volkes«

In der Pilotfolge, die in Großbritannien erstmals im Dezember 2011 ausgestrahlt wurde, verschwindet die britische Prinzessin spurlos. Die Forderung ihres Entführers ist grotesk: Der Premierminister müsse im öffentlichen Fernsehen mit einem Schwein schlafen, was dieser selbstverständlich verweigert. Trotz aller Bemühungen können weder die Entführung noch die Forderung des Erpressers geheim gehalten werden. Dank YouTube und medialem Aufschrei erhöht das Volk den Druck auf den Premierminister immer weiter, bis dieser die Forderung schließlich erfüllen muss. Die Prinzessin kommt frei, der Politiker ist dank seiner Aufopferung beliebter denn je – ein happy end? Nicht wirklich. Denn die Ehe des armen Mannes ist zerstört.

So eine Schweinerei könnte im echten Leben nie passieren? Naja. Seit 2015 kämpft der ehemalige britische Premierminister David Cameron tatsächlich mit einem schweinischen Gerücht. Laut der unautorisierten Biographie von Lord Ashcroft machte Cameron in seiner Studienzeit intime Bekanntschaft mit einem toten Schwein – ein Aufnahmeritual zum Beitritt in einen exklusiven Club an der Oxford University. Fairerweise muss ich zugeben, dass sich diese beiden Geschichten unterscheiden und die Dystopie nicht 1:1 wahr geworden ist. Allerdings gibt es auch deutliche Parallelen: Eine Gruppe Menschen, deren Meinung dem britischen Premierminister unheimlich wichtig ist, erpresst sich die sexuelle Handlung mit einem Schwein. Laut Aussage des Produzenten von Black Mirror handelt es sich bei dieser Übereinstimmung übrigens lediglich um einen bizarren Zufall

Auch die (sozialen) Medien spielen sowohl in der Realität als auch in der Fiktion eine tragende Rolle: Ganz ohne Erpressung lässt sich auf Social Media regelmäßig beobachten, zu welchen #challenges der Druck unserer peer group uns bringen kann – und diese sind teilweise wirklich gefährlich. Erinnert euch nur an die Tide Pod Challenge, bei der Millionen Teenager plötzlich Waschmitteltabs gegessen haben. Ich möchte an dieser Stelle aber nicht verschweigen, dass diese challenges manchmal auch ein positives Ergebnis haben – wie die Ice Bucket Challenge, die auf die Krankheit ALS aufmerksam machen sollte.

Staffel 2, Folge 1: »Wiedergänger«

Diese Episode hat mich besonders mitgerissen. Ein junges Paar ist gerade gemeinsam in ein Haus auf dem Land gezogen, als der Mann bei einem Autounfall stirbt und die Protagonistin alleine zurücklässt. Sie fällt in ein tiefes Loch der Trauer, bis sie nach anfänglichem Zögern eine KI ausprobiert, die eine Freundin ihr empfohlen hat. Dort speist die Witwe Social Media Profile und Videos ihres verstorbenen Mannes ein, woraufhin die KI sich zunächst die Ausdrucksweise und später auch die Stimme ihres Geliebten für Chats und Telefonate mit ihr aneignet. Kurz darauf bestellt sie sich das nächste Upgrade: eine Art lebensgroße Puppe, die sie wie in der Anleitung beschrieben aktiviert. Nach anfänglicher Begeisterung wird jedoch schnell klar: Die Puppe verhält sich zwar genauso wie ihr Mann, ist und bleibt jedoch nur ein Roboter, der einen Menschen nicht ersetzen kann. Die Witwe versucht mehrere Male, ihren künstlichen Mann loszuwerden, hat jedoch keinen Erfolg – und lässt ihn anschließend auf ihrem Dachboden versauern.

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Ja, Chatbots sind inzwischen nichts Neues mehr – sie gehören bei vielen Unternehmen inzwischen als Dienstleistung dazu. Leider ist es keine Seltenheit, dass die Chatbots Anfragen nicht verstehen oder keine zufriedenstellende Antwort liefern können und trotzdem menschliche Hilfe in Form eines Kundenservice-Mitarbeiters notwendig wird. Dass wir technisch inzwischen auch die Möglichkeiten haben, eine künstliche Intelligenz für uns telefonieren zu lassen und mit ihr einen Dialog zu führen, wissen wir nun auch schon seit einiger Zeit – spätestens seit der Roboter-Dame Sophia, die im Jahr 2017 mit ihren Interviews für Furore sorgte. Trotzdem war bisher noch keine Technologie dabei, die einen Menschen wirklich nachahmen oder ersetzen könnte – darauf bin ich in einem anderen Blogartikel auch schon einmal eingegangen.

Aber nur weil wir oft mit KIs zu tun haben, die noch nicht ganz ausgereift sind, heißt das nicht, dass die Black Mirror Folge »Wiedergänger« realitätsfern ist. Die russische Programmiererin Eugenia Kuyda fand sich in einer ähnlichen Situation wieder wie die Protagonistin der SciFi-Serie, als ihr bester Freund Roman 2015 bei einem Autounfall ums Leben kam. Also programmierte sie kurzerhand einen Chatbot, in den sie all ihre Nachrichten mit Roman ins System einspeiste – und so sein digitales Ebenbild erschuf. Da der Roman-Chatbot so gut funktionierte, baute Eugenia die App »Replika«, die es dem User erlaubt, sich durch Chatten eine eigene AI zu erschaffen – als digitalen Freund, der immer für ihn oder sie da ist. Die Bewertungen im App Store sind mit 4,7 von 5 Sternen durchweg positiv – ein Zeichen dafür, dass auch die restlichen Geschehnisse der Black Mirror Folge früher oder später Realität werden könnten? Auf die Frage, ob künstliche Intelligenzen Empathie empfinden oder uns diese zumindest vorspielen können, bin ich ja bereits in einem anderen Blogartikel ausführlich eingegangen …

Staffel 3, Folge 1: »Abgestürzt«

Klar, dass in einer Fernsehproduktion Sachverhalte und Situationen gern überspitzt dargestellt werden. So auch in dieser Folge: sie ist pastellrosa, lächelt permanent ganz furchtbar aufgesetzt und man möchte sich am liebsten schütteln, so unangenehm ist sie anzusehen. Im Auftakt von Staffel 3 entführte Black Mirror uns in eine überzeichnete Satire unserer Gesellschaft, speziell bezogen auf unsere Geltungssucht in sozialen Medien und deren Auswirkungen. Der Zuschauer begleitet die Protagonistin, deren gesamter Alltag – Job, Wohnung, Freunde – von ihrem Social-Media-Ranking abhängt. Je schöner, toller und begehrenswerter sie sich darstellt, desto besser wird sie bewertet und profitiert von exklusiven Vorteilen. Als jedoch auf dem Weg zur Hochzeit einer Freundin einiges schief geht, stürzt der Social-Media-Score der Protagonistin immer weiter ab, bis sie sogar im Gefängnis landet – woraufhin sie sich schlussendlich vom Bewertungssystem löst und ihre neu gewonnene Freiheit genießt.

Na, das kommt uns doch irgendwie bekannt vor: Ein ähnliches Social-Credit-System wurde kürzlich in China eingeführt – näheres dazu in einem anderen Blogartikel. Das chinesische System ist zwar deutlich komplexer und weniger pastellig als bei Netflix dargestellt – aber insgesamt ist diese Dystopie aus Black Mirror definitiv wahr geworden.

Dass diese Folge mehr als nur Fernsehunterhaltung ist, überrascht vermutlich niemanden mehr. Denn die Entwicklungen in China wurden hinreichend in den Medien behandelt und auch der Bezug zur Netflix-Serie wurde in diesem Kontext immer wieder aufgegriffen. Gehen wir also schnell weiter zur nächsten Folge …

Staffel 3, Folge 3: »Mach, was wir sagen«

In der digitalisierten Welt befindet sich immer mindestens ein Bildschirm in unserer Nähe – sei es der Laptop, das Tablet oder das Smartphone. Und sie alle haben eine Kamera. Dieser Umstand wird dem Protagonisten in der insgesamt 10. Folge von Black Mirror zum Verhängnis. Während einer intimen Situation wird seine Kamera gehackt und belastendes Material mitgeschnitten. Anschließend erpresst der Hacker ihn mit dem Video: Sollte der Protagonist nicht alle Aufgaben erledigen, die ihm aufgetragen werden, veröffentlicht der Hacker das Video. Im Laufe der Folge rücken weitere Personen in den Fokus der Geschichte, die in derselben Situation stecken. Doch selbst als die Leidensgenossen alle Aufgaben erfüllt haben – unter anderem sogar einen Banküberfall und einen Mord – wird das belastende Material trotzdem veröffentlicht.

Auch die Essenz dieser Folge Black Mirror findet so bereits in der Realität statt – nicht umsonst kleben sogar Größen wie der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und der FBI-Chef die Kameras ihrer Hardware sorgfältig ab. Heutzutage ist es relativ leicht für Hacker, sich Zugang zu unseren Endgeräten zu verschaffen sowie deren Kameras unbemerkt zu aktivieren, um anschließend pikante Bilder oder Videos zu publizieren. Gefühlt gibt es inzwischen kaum einen (weiblichen) Promi, von dem keine Nacktfotos geleakt wurden. Ein bisschen Vorsicht schadet also ganz bestimmt nicht, auch wenn die Chance auf eine derartige Eskalation wie bei Black Mirror sehr unwahrscheinlich ist. Kurz gesagt: Wir sollten vor allem in diesen digitalen Zeiten viel besser auf unsere Privatsphäre achten.

Staffel 4, Folge 2: »Arkangel«

Sicherheit beschäftigt uns heutzutage nicht nur in Bezug auf unsere eigene Privatsphäre im Internet. Ausdruck dessen ist zum Beispiel die umstrittene Videoüberwachung im öffentlichen Raum, aber in Zeiten der Digitalisierung eröffnen sich auch ganz neue Risiken und Möglichkeiten für Eltern, ihre Kinder zu beschützen.

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In der insgesamt 15. Folge von Black Mirror geht es grob gesprochen um genau diese Bemühungen einer Helikoptermutter. Die Protagonistin lässt ihrer Tochter ein Implantat einsetzen, mit dessen Software sie über ein Tablet immer sehen kann, wo ihr Nachwuchs gerade steckt, was er sieht und wie sein gesundheitlicher Zustand ist. Sie kann sogar »Inhalte« der realen Welt wie beispielsweise Pornografie oder negative News-Meldungen für ihre Tochter ausblenden, wodurch das Kind in der Schule schnell zur Außenseiterin wird. Die Protagonistin zweifelt erstmals am Implantat, kann es aber nicht mehr entfernen und gibt die Überwachung erstmal auf. Interessant wird es, als ihr Schützling in die Pubertät kommt und anfängt, Dinge zu verheimlichen und sie anzulügen. Sie beginnt erneut mit der Überwachung via Implantat und mischt sich massiv ins Leben ihrer Tochter ein: unter anderem indem sie ihrer Tochter heimlich die Pille danach verabreicht. Das Ende vom Lied: Die Situation eskaliert, der Teenie schlägt seine Mutter nieder und läuft von zuhause weg.

Diese Folge klingt im Vergleich zu den zuvor behandelten doch schon deutlich abgefahrener. Und trotzdem sind Teile dieser fiktiven Story auch heute schon Realität: Unser treuer Begleiter, das Smartphone, kann problemlos geortet werden und mit Hilfe von Smartwatches und Körperanalysewaagen können wir auch heute bereits allerlei Daten rund um unsere Gesundheit erfassen. Für Diabetiker gibt es auch schon seit Jahren Implantate, die den Gewebeglukosespiegel in Echtzeit messen und via App überwacht werden können. In Schweden verbreiten sich NFC-Implantate, die schon bald das tägliche (Berufs-)Leben umfangreich erleichtern sollen – aktuell reicht das Einsatzgebiet dieser Near Field Communication vom kontaktlosen Bezahlen über das Drucken von Dokumenten bis zum Öffnen chip-geschützter Türen. Und für Kühe gibt es auch schon seit einigen Jahren spezielle Implantate, die dem Bauern helfen, die Gesundheit seiner Kuhherde im Blick zu behalten. Es scheint teilweise sogar, als wäre die Modifikation des eigenen Körpers durch Implantate langsam aber sicher auf dem Weg in die Normalität – ein Anbieter aus dem Bereich Biohacking und Human Augmentation beschreibt seine Leistungen zum Beispiel ganz einfach als »upgrading humans«. Menschen, die bereits futuristische Implantate oder Prothesen (welcher Art auch immer) tragen, werden in der Community scherzhaft als »Cyborgs« bezeichnet. Die Zeit wird zeigen, ob Modifizierungen dieser Art tatsächlich der nächste Schritt in der menschlichen Evolution sind.

Fazit

Am Beispiel dieser fünf Folgen lässt sich sehr gut zeigen, wie nah Science-Fiction an der Realität sein kann. Ich bin mir sicher, dass genau dieser Umstand einen großen Teil der Faszination für Black Mirror ausmacht – und ich hoffe, dass ich nicht die einzige bin, die durch den analytischen Blick auf die Fernsehserie bewusster durch die mediale Welt geht. Klar, die Entwicklung in der Technik ist spannend und macht Spaß, aber trotzdem müssen wir auch die Schattenseiten erkennen und unser Nutzungsverhalten an immer neue Herausforderungen anpassen – nicht nur als Privatperson, sondern auch als Unternehmen, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer.