STRATEGIE

Entlikenung bei Instagram?

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Das Belohnungssystem im menschlichen Gehirn ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite motiviert es uns, gibt uns ein gutes Gefühl und macht das Leben schön. Für eine kurze Zeit. Und dann? Dann werden wir unleidlich – um es vorsichtig auszudrücken. Blöd ist auch, dass unser Belohnungssystem nicht nur bei Dingen wie Erfolg, sportlichen Leistungen und dem Anblick eines geliebten Menschen anspringt. Nein, der Körper schüttet das »Glückshormon« Dopamin leider ebenso in rauen Mengen bei Fett-Zucker-Gemischen, Drogen oder auch bei Likes aus.

Dieses Glücksgefühl wird zu einer Begierde und diese kann zur Sucht werden. Im Fall von Likes ist es treffender, von »Druck« zu sprechen. Denn Likes werden zum Maßstab für Beliebtheit, Anerkennung und Status. Der Selbstwert definiert sich also über den Zuspruch, den man von anderen bekommt. So funktioniert zumindest das System der Zustimmung für Influencer, Unternehmen und zunehmend auch für junge Menschen, die sich in den Like-Kosmos von Instagram, YouTube und Co. begeben.

Die «Royal Society for Public Health" bezeichnet etwa Instagram in einer Studie aus diesem Grund auch als schädlichste Plattform für die psychische Gesundheit. Denn der Druck, den Selbstwert kontinuierlich bestätigt oder sogar gesteigert zu wissen, ist der stärkste Auslöser für Depressionen und Angstzustände.

Für Influencer und Unternehmen sieht das natürlich etwas anders aus. Bei ihnen geht‘s ums harte Geschäft. Likes sind die Währung. Dass es sich dabei um sogenannte Vanity Metrics handelt, also substanzlose und oberflächlich ansprechende Kennzahlen, das spielt keine Rolle. Wer braucht schon eine qualitative Aussage, wenn die quantitative doch so viel plakativer und leichter vergleichbar ist?

No Like Test

Diese Frage hat der Head of Instagram vor einiger Zeit auf den Prüfstand gestellt, als er einen interessanten Test bestätigte. Denn Instagram hat sich testweise von den Likes verabschiedet. »Instagram solle sich nicht wie ein Wettbewerb anfühlen«, kritisierte er das selbstgeschaffene Like-System recht unverhohlen. Influencer und Unternehmen heulen da natürlich auf – greift dieser Test doch direkt deren Geschäftsmodell an. Wie sollen Unternehmen denn nun den Erfolg von Kampagnen messen? Wie wollen Bibi und Co. denn jetzt ihre Preise bloß verargumentieren??? Wobei gerade bei Influencern die Frage erlaubt sein muss, ob dieses System nicht ein Brandbeschleuniger für die schamlose Kommerzialisierung des Werteverfalls ist …

Sollte der inhaltliche/moralische/gesellschaftliche Wert einer Aussage primär danach bezahlt werden, wie viel Zuspruch er von anderen bekommt? Klar, wenn ich als Unternehmen Produkte verkaufen möchte, brauche ich eine breite Zustimmung. Doch trägt die öffentliche Zurschaustellung der scheinbaren Zustimmung wirklich nachhaltig dazu bei, den Erfolg des geposteten Inhalts zu bewerten? Betrachtet man die Kohle, die Influencer mit Instagram, YouTube und Co. generieren, muss die Antwort ein lautes, unumstößliches »HELL YE$$$!« sein.

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Wenn wir von der Qualität der Inhalte sprechen, dann darf die sich meiner Meinung nach nicht von der Zustimmung anderer definieren lassen. Aus Unternehmenssicht sollten gepostete Inhalte einer Haltung entspringen. Unabhängig davon, ob andere diese Haltung bzw. Meinung offenkundig teilen. Wenn ich als Unternehmen von einem Produkt überzeugt bin, dann poste ich etwas darüber. Wenn ich eine Meinung zu einem Thema habe, dann darf das kein Beliebtheitswettbewerb sein. Authentizität richtet sich eben nicht danach, nur das zu veröffentlichen, was möglichst breite Zustimmung und Applaus bekommt. Unternehmen gewinnen langfristig mehr, wenn sie aus Überzeugung heraus agieren.

Follower-Folgen

Für die Follower hat ein Instagram ohne Likes natürlich auch Konsequenzen: Auf einmal ist man nahezu genötigt, sich mit den Inhalten auch zu beschäftigen, statt blind im Herdentrieb das Herzchen zu tappen. Eine Auseinandersetzung könnte ja zu einer gefestigten Meinung und langfristig zu einem Wandel weg von substanzloser Oberflächlichkeit hin zu gemeinschaftlichem Wertekanon führen. … Man wird ja noch träumen dürfen.

Auf jeden Fall würde es einen Beitrag dazu leisten, dem Geltungsdrang und der Sucht nach Bestätigung von außen entgegenzutreten. Es könnte den Social Media Plattformen eine neue Form der Bedeutung geben, die nicht primär von wirtschaftlichen und kommerziellen Interessen geprägt ist. Sondern auf denen ein gehaltvoller Austausch über Positionen, Inhalte und Qualitäten leichter möglich ist, da man nicht gegen das dopamingesteuerte Verhaltensmuster ankämpfen muss.

Und für das Marketing auf den Portalen wäre die Folge eine substanziellere Professionalität. Denn wenn sich Kampagnen oder Influencer an der Wirkung messen lassen müssen, anstatt an gehaltlosen Likes und Followern, wächst der Anspruch an die Inhalte auf vielen Ebenen. Ich bin dafür, den Test auszuweiten und den Anspruch grundsätzlich wieder höher zu schrauben. Ich bin mir sicher: Wir alle sind mehr wert als das, was derzeit in weiten Teilen auf diesen Kanälen angeboten wird.