STRATEGIE

Like, Share, Cry

ZUR ÜBERSICHT

Vor einiger Zeit haben wir schon einmal einen Blogartikel veröffentlicht, in dem es um die Macht sozialer Medien ging. Darin wurde deutlich: Social Media ist ein Ort, an dem wir unser Leben so präsentieren, wie wir es gerne hätten. Immer positiv, hübsch und perfekt. Gleichzeitig ist es ein mächtiges Instrument zur Meinungsmache, ein pulsierender Beweis der modernen Sprachverrohung und nicht zuletzt ein Ventil, um den Aggressionen gegen Andersdenkende freien Lauf zu lassen und mal so richtig unter der Gürtellinie abzuhaten.

Ja, wir verachten all diejenigen, die vor Rechtschreibfehlern strotzende Hasstiraden in Caps Lock in die Tiefen des Internets brüllen. Und trotzdem können wir die Augen nicht abwenden. Wir tummeln uns in einem Paralleluniversum fernab unseres wirklichen Lebens und wollen unaufhörlich teilhaben an der Welt der anderen – selbst wenn es nur ist, um uns besser zu fühlen. Genau deshalb schalten wir doch auch ganz gerne Assi-TV auf RTL2 ein und lachen uns über Frauentausch (»In Wurst sind Vitamine drin«) oder Love Island (»Da ist der Vogel überspannt«) ins Fäustchen, nicht wahr? Denn wir sind süchtig danach, uns mit anderen zu vergleichen – in der Hoffnung, uns überlegen zu fühlen. Um uns zu bestätigen, dass wir überdurchschnittlich intelligent sind und unser Leben ganz toll ist.

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Was vor dem Fernseher ganz gut funktioniert, hat auf Social Media leider den gegenteiligen Effekt. Denn wir vergessen gern, dass Facebook oder Instagram eigentlich nie die Realität widerspiegeln und der Content dort nicht dafür erstellt wird, damit wir uns besser fühlen – sondern um uns neidisch zu machen. Fast alles, was wir dort sehen, ist bis ins letzte Detail geplant, gestylt und selbstverständlich bis zum Abwinken bearbeitet worden. Denn genau wie wir selbst wollen schließlich auch alle anderen ihr Leben als besonders schön und erstrebenswert darstellen. Wir befinden uns online also stets in einem unterschwelligen, passiven Kampf darum, wer besser aussieht, am schöneren Urlaubsort war oder wer den ausgefalleneren Lunch genossen hat.

 

Da besonders junge Frauen sich von der ästhetischen Perfektion sozialer Medien beeinflussen und sich Schönheitsideale aufzwingen lassen (was z. B. nicht selten zu Essstörungen führt), gibt es inzwischen immer mehr Accounts, die das Gegenteil bewirken wollen. Indem sie in ihren Posts reale, unbearbeitete Bilder zeigen: Menschen wie dich und mich. Zwar fördern inzwischen auch große Marken wie Dove den Gedanken, dass wir alle schön sind – ganz ohne bedenkenswert niedrigen BMI oder porenfreien Babypopo-Teint. Trotzdem sind Instagram-Accounts wie Celeste Barber oder ssstructure leider die Ausnahme und haben momentan (noch) nicht genug Reichweite, um wirklich etwas am Einfluss der gefaketen Social-Media-Schönheit und unserer Selbstwahrnehmung zu ändern.

 

Also werden wir weiterhin jedes Mal, wenn wir eine soziale Plattform besuchen, damit konfrontiert, wie wunderschön alle anderen aussehen, was für großartige Dinge sie erleben, wie fantastisch es beruflich bei ihnen läuft. Sie sind immer fit und voller Energie, rasen vom Traumjob ins Fitnessstudio und fliegen zum Candle-Light-Dinner mal eben nach Paris.

Im Spiegel lacht uns hingegen wieder nur unser müdes Montagmorgen-Gesicht mit kleinen Fältchen oder Pickelchen an, montiert auf einer durchschnittlich sportlichen Person mit Problemzonen, die statt 6 Wochen Traumstrand auf Bali den mickrigen Jahresurlaub im mittelmäßigen 3-Sterne-Hotel im Saarland verbracht hat.

Klar, dass wir uns da schnell mal schlecht fühlen.

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Aber: Immer wieder beweisen Studien, dass die übermäßige Nutzung sozialer Medien nicht nur kurzfristig ein schlechtes Gefühl wie Neid oder Selbstzweifel auslösen kann. Nein, hier lauern viel größere, langfristige Gefahren.

Vor allem, weil die Nutzung von Social Media süchtiger macht als Zigaretten oder Alkohol. Denk nur mal darüber nach, wie du reagierst, wenn eine Push-Mitteilung auf deinem Handy aufploppt – wie lange hältst du es aus, ohne nachzusehen, was du verpasst hast? Wirst du bereits nach kurzer Zeit nervös und denkst fieberhaft daran, wer dir da schreibt und worum es wohl geht oder wo du ein Like bekommen hast? Diese Sucht nach virtuellem Konsum birgt leider das Risiko ernstzunehmender, emotionaler Konsequenzen – besonders bei jungen Frauen, die für psychische Krankheiten deutlich anfälliger sind als ihre männlichen Altersgenossen.

 

So zeigt eine Studie, die Mitte November letzten Jahres im Fachjournal Clinical Psychological Science veröffentlicht wurde, dass in den USA sowohl die Suizidrate als auch die Anzahl der an Depressionen erkrankten jungen Mädchen seit 2009 dramatisch angestiegen ist (nämlich 65 bzw. 58 %) – also seitdem diese Generation ihr Smartphone ständig dabei hat, um durch die Welt der sozialen Medien zu surfen. Ein möglicher Grund hierfür ist, dass wir Menschen auf persönliche Kommunikation programmiert sind. Der virtuelle Sozialkontakt über Social Media kann ein echtes Gespräch nicht ersetzen, sondern wird das Gefühl von Einsamkeit eher noch verstärken. So könnte übermäßige Nutzung sozialer Plattformen zu einer gefährlichen Spirale Richtung Depression führen, in der man sich immer einsamer fühlt und sich deshalb mehr ins Smartphone verkriecht, wodurch das Gefühl des Alleinseins sich verstärkt und so weiter.

 

Und das war es noch nicht: Mobbing unter Jugendlichen ist ein altbekanntes Problem, für das leider noch keine Wunderheilung entdeckt worden ist. Doch seitdem es soziale Plattformen gibt, leben pubertierende Unruhestifter ihre Antipathien gegeneinander am liebsten virtuell aus – beim Cybermobbing. Denn im Schutz ihres Bildschirms fühlen sie sich noch stärker und können ihren Hass noch gezielter zum Ausdruck bringen. Ohne Gefühl der Reue oder Verständnis dafür, dass sie gerade die Gefühle eines echten Menschen verletzen. Und damit wirklich viel Schaden bei den Betroffenen anrichten können. Eine Studie von Forschern der öffentlichen Gesundheit an der Brown University in Providence, Rhode Island, belegt, dass junge Erwachsene, die auf Facebook gemobbt und angefeindet werden, 3,5-mal wahrscheinlicher eine Depression entwickeln als Nicht-Betroffene. 3,5-mal!

 

Wie die bearbeitete Zuckerwatte-Welt auf Instagram unserem Selbstwertgefühl einen Stich nach dem anderen versetzt, muss ich an dieser Stelle wohl nicht mehr im Detail erklären. Doch trotz Neid und Minderwertigkeits-Gefühlen scrollen wir weiter wie besessen durch unseren Newsfeed und posten selbst immer neue Bilder, um mit den anderen mithalten zu können. Ein ewiger, alltäglicher Kreislauf, den wir nur schwer durchbrechen können und der uns leicht kaputt machen kann. Digitale Transformation schön und gut, aber bitte in Maßen.

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Statt nonstop die gekünstelte Welt durch das Smartphone-Display zu beobachten, müssen wir unsere Realität wieder bewusst erleben. Unsere Freizeit nicht durch Technik und Social Media bestimmen lassen. Lasst uns einfach mal wieder ein Buch lesen. Oder einen Film sehen, ohne nebenbei durch Facebook zu scrollen – lade dir lieber eine nette zweite Person ein, mit der du ab der Hälfte des Films gepflegt auf dem Sofa knutschen kannst. Realen Menschen sind die Fältchen und Pickelchen in deinem Montagsgesicht nämlich total egal – weil sie selber welche haben.

 

Es fällt dir schwer, deine Handynutzung »einfach so« einzuschränken? Versuche zumindest, bewusster mit deinem Smartphone umzugehen. Mach dich sensibel dafür, wie viel Zeit du auf Social Media verbringst. Achte zum Beispiel darauf, wie oft du ganz automatisch das Handy in die Hand nimmst und checkst, ob du etwas verpasst hast. Hier setzt übrigens das Werkzeug »Screen Time« aus dem neuen iOS 12 Update an: Es erstellt detaillierte Tages- und Wochenberichte über deine App-Nutzung und hilft dir, Limits zu setzen und deine Nutzungs-Gewohnheiten bei Bedarf zu kontrollieren.

 

Wer jetzt noch mehr über das Thema soziale Medien und Depression erfahren möchte, dem kann ich diesen kurzweiligen und ehrlichen Artikel der Autorin Kati Krause nur ans Herz legen.